Gerundivum



Das Gerundivum ist ein verbales Adjektiv. Das heißt, es hat sowohl die Eigenschaften eines Verbs als auch die eines Adjektivs. Diesem Umstand zufolge hat es stets ein Beziehungswort, mit dem es in KNG-Kongruenz steht. Es wird wie das Gerundium dekliniert, nur eben, dass es jeden Kasus, Numerus und Genus bilden kann, da es ja mit seinem Beziehungswort kongruieren muss:

Singular
Plural
KasusMask.Fem.Neutr.Mask.Fem.Neutr.
Nominativam-a-nd-usam-a-nd-aam-a-nd-umam-a-nd-iam-a-nd-aeam-a-nd-a
Genitivam-a-nd-iam-a-nd-aeam-a-nd-iam-a-nd-orumam-a-nd-arumam-a-nd-orum
Dativam-a-nd-oam-a-nd-aeam-a-nd-oam-a-nd-isam-a-nd-isam-a-nd-is
Akkusativam-a-nd-umam-a-nd-amam-a-nd-umam-a-nd-osam-a-nd-asam-a-nd-a
Ablativam-a-nd-oam-a-nd-aam-a-nd-oam-a-nd-isam-a-nd-isam-a-nd-is







Attributive Verwendung des Gerundivums



Das Gerundivum drückt die Notwendigkeit oder Möglichkeit (meistens jedoch die Notwendigkeit) einer passivischen Verbalhandlung aus. Der Gebrauch ähnelt dem eines Partizips.


Germani vincendi
die zu besiegenden Germanen
die Germanen, die besiegt werden müssen
die besiegbaren Germanen



Bevor sich mit der attributiven Verwendung des Gerundivums in den übrigen Kasus beschäftigt wird, soll ein weit verbreiteter Irrtum aus dem Weg geräumt werden.

Das attributive Gerundivum (also ohne esse) hat KEINEN Bedeutungsunterschied zu analogen Konstruktionen mit dem Gerundium.
Es ist lediglich eine grammatische Frage:
Das Gerundivum ordnet sich als Attribut dem zugehörigen Substantiv unter, indem es mit ihm kongruiert. Es kann daher auch niemals alleine stehen. Das Gerundium hingegen regiert das zugehörige Substantiv (sofern das Gerundium nicht allein steht) wie ein Verb. Der Sinn bleibt derselbe.


Das heißt jedoch nicht, dass in jedem Fall frei zwischen einer der beiden Konstruktionen zu wählen ist. Wann ein Gerundivum oder Gerundium gebraucht werden muss, wird in den Abschnitten zu den einzelnen Kasus geklärt. Als allgemeine Regel gilt, dass zu einem Gerundium mit Präposition kein Objekt hinzutreten kann, sondern eine entsprechende Konstruktion mit dem Gerundivum verwendet wird.

Intransitive Verben bilden in der Regel kein attributives Gerundivum (Deponenzien, die mit dem Ablativ stehen, werden als Transitiva betrachtet; Vgl. Ablativus instrumenti)






Genitiv
Der Genitiv des Gerundivums kann mit einer nominalisierten Verbform oder mit "zu" übersetzt werden. Auch Präpositionen wie causa oder gratia finden sich bisweilen beim Gerundivum. Bei Präposition und Objekt muss das Gerundivum stehen (2. Beispiel).


cupidus gerundorum bellorumgierig auf das Führen von Kriegen ~ gierig Kriege zu führen
comitiorum habendorum causawegen der Abhaltung der Komitien
iussus copiarum traiciendarumder Befehl die Truppen überzusetzen



Hier noch einmal der Vergleich mit dem Gerundium:

facultas Carthaginem delendidie Möglichkeit Karthago zu zerstören
facultas Carthaginis delendaedie Möglichkeit Karthago zu zerstören







Dativ
Gerundiva im Dativ sind recht selten und haben zumeist finalen Charakter (wozu?). Sie finden sich hauptsächlich bei festen Formeln und Gesetzestexten. Das Gerundivum muss stehen, wenn ein Objekt dabeisteht.

Germanis castris conflagrandis diem dicereden Tag zum Verbrennen der germanischen Dörfer nennen
Tempora demetendis frugibus aut percipiendis accommodata sunt.Die Zeiten sind geeignet, um die Früchte zu ernten und einzulagern.
Duces partium accendendo bello civili acres erant.Die Führer der Parteien waren voller Eifer, einen Bürgerkrieg zu entflammen.
Navi aedificandae Mamertinus senator praefuit.Dem Schiffsbau stand ein mamertinischer Senator vor.
decemviri litibus iudicandis
              agris dandis adsignandis
              sacris faciundis
              legibus scribundis
ein Zehnmännerkolleg zum Urteilen über Rechtsprozesse usw.







Akkusativ
Das Gerundivum im Akkusativ kann mit und ohne Präposition ad stehen und hat ebenfalls einen finalen Charakter. Entweder wird mit um zu oder mit einer nominaliserten Verbform übersetzt. Das Substantiv tritt bei letzterem im Deutschen in den Genitiv.

ad pontem collocandumzum Errichten der Brücke ~ um die Brücke zu errichten
ad hostes persequendoszum Verfolgen der Feinde ~ um die Feinde zu verfolgen
ad alendos exercituszum Ernähren der Heere ~ um die Heere zu ernähren
dolus ad capiendos eoseine List, um diese festzunehmen



Es steht (prädikativ) nach den Verben des Bittens, Gebens, Nehmens und Sorgens ohne Präposition:

dare carnem cenandamFleisch als "zu essendes" geben ~ Fleisch zum Essen geben
vasa utenda rogaredie Gefäße "als zu gebrauchende" erfragen
(fragen, ob man die Gefäße ausleihen darf)
curare longis navibus exercitum transportandumfür das Transportieren des Heeres auf langen Schiffen sorgen







Ablativ
Ohne Präposition hat das Gerundivum im Ablativ einen modalen bzw. instrumentalen Sinn. Da eine Übersetzung mit einem Nebensatz möglich ist, sei darauf hingewiesen, dass die handelnde Person des übergeordneten Satzes auch Handlungsträger in der Gerundivkonstruktion ist.

Caesar tantum agris vastandis incendiisque faciendis hostibus nocebat.Caesar schadete den Feinden nur, indem er ihre Äcker verwüstete und Brände legte.
utenda manuindem man die Hand gebraucht
morte contemnendaindem man den Tod verachtet



Wenn Präpostionen verwendet werden, kann das Gerundivum auch eine kausale, temporale oder limitierende (siehe Ablativus limitationis) Funktion haben. Auch Ortsangaben sind möglich, eben je nach Bedeutung der Präposition. Wenn Präposition und Objekt stehen, wird regulär das Gerundivum benutzt.

in persequendis hostibus
nicht: in persequendo hostium
beim Verfolgen der Feinde
De mutando rei publicae statu haesitatum erat.Es war über die Veränderung der Stellung des Staates beratschlagt worden.
Virtus constat ex hominibus tuendis.Tugendhaftigkeit besteht aus dem Schützen von Menschen.
Plura verba in castigandis matronis, quam in rogatione nostra dissuadenda consumpsit.Er hat mehr Worte beim Zurechtweisen seiner Frauen, als beim Widerraten gegen unseren Gesetzesantrag aufgewendet.







Prädikative Verwendung des Gerundivums



Neben seiner attributiven Verwendungsmöglichkeit, kann das Gerundivum auch als Prädikatsnomen in Verbindung mit esse gebraucht werden.

Caesarestlaudandus.

Caesaristzu loben.
SubjektPrädikatPrädikatsnomenSubjektPrädikatPrädikatsnomen

freier übersetzt: Caesar muss gelobt werden



Wenn das Gerundivum verneint ist, drückt es ein Verbot aus:

Statio non expugnanda est.Der Stützpunkt darf nicht erobert werden.



Die handelnde Person wird durch den Dativus auctoris bezeichnet:

Dei hominibus colendi sunt.Die Götter sind von den Menschen zu verehren. ~ Die Menschen müssen die Götter verehren
Legendus, inquam, est hic orator, Brute, iuventuti; non enim solum acuere, sed etiam alere ingenium potestDiesen Redner, sage ich, muss die Jugend lesen, Brutus; denn er kann nicht nur den Verstand schärfen, sondern ihn auch nähren.




Da intransitive Verben nur ein unpersönliches Passiv bilden können und das Gerundiv ein passives Verbaladjektiv ist, können intransitve Verben auch nur ein unpersönliches Gerundiv bilden. Das Gerundiv steht bei den Intransitiva also im Nom. Sg. Neutr. und die Person oder Sache, mit der etwas gemacht wird, steht in dem Kasus, mit dem das entsprechende Verb steht (Vergleiche Genitiv bei Verben, Dativ bei Verben, Ablativus instrumenti)


Obliviscendum est nobis iniuriarum acceptarum.Wir dürfen das erlittene Unrecht nicht vergessen.
Victis parcendum est.Besiegte müssen geschont werden.
Utendum est armis.Waffen sind zu benutzen.



Wenn bei einem Verb, das ohnehin schon mit dem Dativ steht, der Handlungsträger durch den Dativus auctoris angegeben werden soll, könnte es zu einer Verwechslungsgefahr kommen, weshalb dann der Dat. auct. durch a/ab mit dem Ablativ (Ablativus auctoris) ersetzt wird.

A medicis vulneribus medendum est.Ärzte müssen Wunden heilen.
A te temperandum est voluptatibus.Du musst deine Gelüste zügeln.





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