Vergil - Ecloge X - Gallus


Ecloge X



Gallus



Die zehnte und letzte Ecloge widmet Vergil seinem Freund Publius Cornelius Gallus, dem Begründer der römischen Liebeselegie. Der Sprecher dieser Ecloge ist mit Vergil gleichzusetzen.

Die Ecloge beginnt mit einem Vorwurf Vergils an die Najaden: Sie hätten dem Gallus bei seinem Liebesschmerz nicht beigestanden, während die Natur, andere Hirten und sogar die Götter Trost gespendet hätten. Den Liebesschmerz hat ihm seine Geliebte Lycoris zugefügt, die sich nun mit einem anderen begnügt (V. 22-23). Lycoris taucht in den wenigen erhalten Versen des Gallus ebenfalls auf - Vergil nimmt also Rückbezug auf eine Elegie des Gallus.
Im Hauptteil lässt Vergil Gallus selbst zu Wort kommen (V. 31-69). Nachdem er sich für kurze Zeit mit Gedanken über das freudige Dasein eines Hirten abgelenkt hat, muss er sich eingestehen, dass es kein Entrinnen vor der Liebe gibt (60ff). Letztlich kommt er zu dem Entschluss: "Omnia vincit Amor: et nos cedamus Amori." Der Gesang des Gallus ist beendet. Im Epilog lässt Vergil seinen Freund noch einmal wissen, was er für ihn bedeutet.








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Extremum hunc, Arethusa, mihi concede laborem:
pauca meo Gallo - sed quae legat ipsa Lycoris -
carmina sunt dicenda: neget quis carmina Gallo?
Sic tibi, cum fluctus subterlabere Sicanos,
Doris amara suam non intermisceat undam;
incipe; sollicitos Galli dicamus amores,
dum tenera attondent simae virgulta capellae.
Non canimus surdis: respondent omnia silvae.
Quae nemora aut qui vos saltus habuere, puellae
Naides, indigno cum Gallus amore peribat?
Nam neque Parnasi vobis iuga, nam neque Pindi
ulla moram fecere, neque Aonie Aganippe.
Illum etiam lauri, etiam flevere myricae;
pinifer illum etiam sola sub rupe iacentem
Maenalus et gelidi fleverunt saxa Lycaei.
Stant et oves circum (nostri nec paenitet illas,
nec te paeniteat pecoris, divine poeta:
et formosus ovis ad flumina pavit Adonis);
venit et upilio; tardi venere subulci;
uvidus hiberna venit de glande Menalcas.
Omnes "Unde amor iste" rogant "tibi?" Venit Apollo:
"Galle, quid insanis?" inquit; "tua cura Lycoris
perque nives alium perque horrida castra secuta est."
Venit et agresti capitis Silvanus honore,
florentis ferulas et grandia lilia quassans.
Pan deus Arcadiae venit, quem vidimus ipsi
sanguineis ebuli bacis minioque rubentem:
"Ecquis erit modus?" inquit "Amor non talia curat,
nec lacrimis crudelis Amor nec gramina rivis
nec cytiso saturantur apes nec fronde capellae."


Tristis at ille: "Tamen cantabitis, Arcades,” inquit,
“montibus haec vestris, soli cantare periti
Arcades. O mihi tum quam molliter ossa quiescant,
vestra meos olim si fistula dicat amores!
Atque utinam ex vobis unus vestrisque fuissem
aut custos gregis aut maturae vinitor uvae!
Certe sive mihi Phyllis sive esset Amyntas,
seu quicumque furor (quid tum, si fuscus Amyntas?
et nigrae violae sunt et vaccinia nigra)
mecum inter salices lenta sub vite iaceret:
serta mihi Phyllis legeret, cantaret Amyntas.

"Hic gelidi fontes, hic mollia prata, Lycori;
hic nemus; hic ipso tecum consumerer aevo.
Nunc insanus amor duri me Martis in armis
tela inter media atque adversos detinet hostis.
Tu procul a patria (nec sit mihi credere tantum)
Alpinas, a, dura, nives et frigora Rheni
me sine sola vides. A, te ne frigora laedant!
a, tibi ne teneras glacies secet aspera plantas!
Ibo et, Chalcidico quae sunt mihi condita versu,
carmina pastoris Siculi modulabor avena.

Certum est in silvis inter spelaea ferarum
malle pati tenerisque meos incidere Amores
arboribus: crescent illae, crescetis, Amores.
Interea mixtis lustrabo Maenala Nymphis,
aut acris venabor apros; non me ulla vetabunt
frigora Parthenios canibus circumdare saltus.
Iam mihi per rupes videor lucosque sonantis
ire; libet Partho torquere Cydonia cornu
spicula; tamquam haec sit nostri medicina furoris,
aut deus ille malis hominum mitescere discat!
Iam neque Hamadryades rursus nec carmina nobis
ipsa placent; ipsae rursus concedite, silvae.
Non illum nostri possunt mutare labores,
nec si frigoribus mediis Hebrumque bibamus,
Sithoniasque nives hiemis subeamus aquosae,
nec si, cum moriens alta liber aret in ulmo,
Aethiopum versemus ovis sub sidere Cancri.
Omnia vincit Amor: et nos cedamus Amori."

Haec sat erit, divae, vestrum cecinisse poetam,
dum sedet et gracili fiscellam texit hibisco,
Pierides: vos haec facietis maxima Gallo,
Gallo, cuius amor tantum mihi crescit in horas,
quantum vere novo viridis se subicit alnus.
Surgamus: solet esse gravis cantantibus umbra,
iuniperi gravis umbra; nocent et frugibus umbrae.
Ite domum saturae, venit Hesperus, ite, capellae.


Gestatte mir, Arethusa, dies, mein letztes Werk:
Ein paar Strophen sind für meinen Gallus zu singen – aber möge selbst Lycoris diese lesen: Wer kann Gallus Gedichte versagen?
So möge dir, wenn du unter die sicanischen Fluten fließen wirst, die bittere Doris ihren Strom nicht dazwischen mischen;
Fang an! Lasst uns von der sorgenvollen Liebe des Gallus künden, während plattnäsige Böcklein zartes Buschwerk benagen.
Für Taube singen wir nicht: Alles beantworten die Wälder.
Welches Gehölz oder welche Waldschlucht hatte euch, ihr jungen Najaden, als Gallus an unwürdiger Liebe zugrunde ging?
Denn weder brachten euch des Parnasus, noch des Pindus Gebirgszüge, noch die aonische Quelle irgendeine Verzögerung.
Jenen beweinten sogar Lorbeeren, sogar Tamariske;
Sogar der pinientragende Maenalus und die Steine des eiskalten Lycaeus beweinten jenen, einsam unter’m Felsen liegend.
Auch Schafe standen ringsum (Weder schämen sich jene unser, noch schämst du dich des Viehs, göttlicher Dichter: Auch der schöne Adonis ließ Schafe zu den Flüssen weiden);
Ebenso kam ein Schäfer; langsam kamen Schweinehirten;
Von winterlicher Eichel kam auch nass Menalcas daher.
Alle fragen: „Woher ist dir diese Liebe?“ Apollo kam:
„Gallus, was bist du unsinnig?“, sagte er; „Lycoris, deine Sorge, folgt durch Schnee und schauderhafte Lager einem anderen.“
Auch Silvanus erschien mit ländlichem Schmuck des Hauptes, blühendes Pfriemenkraut und edle Lilien schüttelnd.
Pan, der Gott Arkadiens, erschien, den wir selbst, gerötet vor blutroten Beeren des Attichs und Bergzinnober, sahen:
„Wird‘s wohl irgendein Ende geben?“, sagte er, „Um Solches kümmert sich Amor nicht, weder wird der grausame Amor durch Tränen, noch werden die Gräser durch Bäche, noch die Bienen durch Cytisus, noch die Böcklein durch Laub gesättigt.“

Jener hingegen erwiderte traurig: „Dennoch werdet ihr, Ihr Arkadier, dies euren Bergen singen, da ihr alleinig des Singens kundig seid. O wie sanft mir meine Gebeine dann ruhen mögen, wenn eure Flöte einst mein Lieben besinge!
Wär‘ ich doch auch einer von euch und den Eurigen gewesen, entweder ein Hüter der Herde oder ein Winzer der reifen Traube!
Sicherlich, wär‘ nun Phyllis oder Amyntas mir, oder welches Subjekt meiner Begierde auch immer (Was dann, wenn Amyntas dunkelhäutig ist? Violen und Hyazinthen sind ebenso dunkel) mit mir zwischen den Weidenbäumen unter der biegsamen Rebe läge:
Phyllis würde für mich Kränze binden, Amyntas für mich singen.

Hier sind eiskalte Quellen, hier sind weiche Wiesen, Lycoris;
Hier ist ein Hain, Hier würde uns die Zeit verzehren.
Jetzt fesselt rasende Liebe mich in des hartherzigen Mars Rüstung inmitten von Geschossen und mörderischen Feinden.
Fern der Heimat siehst du (soviel möcht‘ ich nicht glauben)
den Schnee der Alpen und die Kälte des Rheins, ach, du Hartzherzige, ohne mich, ganz allein. Ach, verletze die Kälte dich nicht!
Ach, schneide das rauhe Eis dir deine zarten Fußsohlen nicht!
Ich werde gehen und die Lieder, die ich in chalkidischem Maß dichtete, unter Begleitung der Flöte eines sizilischen Hirten singen.

Ich bin entschlossen, lieber im Wald zwischen Höhlen wilder Tiere auszuharren und den Namen meiner Liebe zarten Bäumen einzuschnitzen: Jene werden wachsen, du, meine Liebe, wirst wachsen.
Unterdessen werd‘ ich unter Nymphen den Mänalus durchwandern oder einen grimmigen Eber jagen; Keine Kälte wird mir verbieten, die parthenischen Schluchten mit Hunden zu umstellen.
Schon scheine ich mir, durch Felsenklüfte und tönende Wälder zu gehen; Mir gefällt es, mit parthischem Bogen, cydonische Geschosse zu schleudern; Als wenn dies Medizin für mein glühendes Herz wäre oder jener Gott lernen würde, beim Elende der Menschen weich zu werden!
Jetzt wiederum gefallen mir weder die Hamadryaden noch selbst Lieder; Selbst ihr Wälder, lebt wieder wohl!
Unser Mühsal vermag jenen nicht zu ändern, weder wenn wir inmitten des Winters vom Hebrus tränken und sithonischen Schnee regenreichen Winters über uns ergehen ließen, noch wenn wir unter dem Sternbild „Krebs“, wenn der Bast in der hohen Ulme im Sterben lechzt, die Schafe der Äthiopier weideten.
Amor besiegt alles: Auch wir wollen Amor weichen.“

Euer Dichter, ihr göttlichen Pieriden, hat genug gesungen, während er saß und ein Körbchen von geschmeidigem Eibisch flocht: Ihr werdet dies für Gallus zu etwas äußerst Bedeutsamem machen, für Gallus, gegen den meine Liebe mir stündlich soviel wächst, wie sich im jungen Frühling die grüne Erle erhebt.
Erheben wir uns: der Schatten pflegt den Singenden schädlich zu sein. Des Wacholders Schatten ist schädlich; Auch schaden Schatten den Früchten.
Geht nach Hause, ihr satten Ziegen, der Abendstern kommt, geht.



Hilfen zur Übersetzung

(1) Arethusa : ursprünglich eine Meeresnymphe, verwandelt in einen Quellstrom und in Sizilien als Süßwasserquelle wieder entsprungen; Darauf auch die Anspielung in den folgenden Versen.
(19) upilio : häufiger opilio v. ovem pellere
(22) tua cura : appositiv zu Lycoris zu verstehen
(24) agresti honore : Ablativus qualitatis
(26) Pan, quem vidimus : Epiphanie
(32) cantare : Gerundium im Akkusativ in der Funktion des limitationis, schränkt den Bereich ein, auf den sich das „Kundigsein“ (peritus) bezieht. [Gräzismus]
(53) pati : hier absolut gebraucht, ohne Objekt
(60) tamquam … sit … aut … discat : hypothetischer Vergleichssatz (im Lat. Der c.t. konjunktivischer NS folgend, im Dt. der Irrealis, da der Vergleich nur „unterstellt“ ist)
(61) malis : Ablativus limitationis



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