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Cicero - Brutus - 301-325 - Deutsche Übersetzung |
| Brutus - de claris oratoribus | | |
301. Kapitel |
[301] Hortensius igitur cum admodum adulescens orsus esset in foro dicere, celeriter ad maiores causas adhiberi coeptus est; et quamquam inciderat in Cottae et Sulpici aetatem, qui annis decem maiores erant, excellente tum Crasso et Antonio, dein Philippo, post Iulio, cum his ipsis dicendi gloria comparabatur. Primum memoria tanta, quantam in nullo cognovisse me arbitror, ut, quae secum commentatus esset, ea sine scripto verbis eisdem redderet, quibus cogitavisset. Hoc adiumento ille tanto sic utebatur, ut sua et commentata et scripta et nullo referente omnia adversariorum dicta meminisset.
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[301] Nachdem also Hortensius als sehr junger Mann begonnen hatte, auf dem Forum zu sprechen, fing man schnell an, ihn bei wichtigeren Rechtsfällen heranzuziehen; und obgleich er in die Zeit von Cotta und Sulpicius hineingefallen war, die zehn Jahre älter waren, wurde er, als sich dann Crassus und Antonius hervortaten, darauf Philippus, danach Iulius, mit ebendiesen auf eine Stufe in Bezug auf den Ruhm der Redekunst gestellt. Zunächst hatte er ein so gutes Gedächtnis, was ich glaube bei niemandem je gesehen zu haben, sodass er das, was er einstudiert hatte, ohne Aufzeichnung mit denselben Worten wiedergeben konnte, mit denen er es erdacht hatte. Jener nutzte dies zu einer so großen Hilfe, dass er sich sowohl an sein eigenes Einstudiertes und seine eigene Aufzeichnungen als auch an jedwedes Gesagte seiner Gegner, ohne dass ihm einer berichtete, erinnerte.
| 302. Kapitel |
[302] Ardebat autem cupiditate sic, ut in nullo umquam flagrantius studium viderim. Nullum enim patiebatur esse diem, quin aut in foro diceret aut meditaretur extra forum. Saepissume autem eodem die utrumque faciebat. Adtuleratque minime volgare genus dicendi; duas quidem res, quas nemo alius: partitiones, quibus de rebus dicturus esset, et conlectiones, memor, et quae essent dicta contra quaeque ipse dixisset.
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[302] Er brannte so vor Leidenschaft, dass ich noch bei keinem jemals einen glühenderen Eifer gesehen habe. Er ließ es nämlich nicht zu, dass es irgendeinen Tag gab, ohne dass er entweder auf dem Forum sprach oder sich außerhalb des Forums übte. Am öftesten macht er aber beides am selben Tag. Und keineswegs hatte er eine gewöhnliche Art zu reden an sich; unstreitig zwei Sachen, die niemand anderes hatte: die Einteilung des Stoffs, über den er sprechen wollte, und die Rekapitulation, sich daran erinnernd, was einerseits auf der Gegenseite gesagt worden war, was andererseits er selbst gesagt hatte.
| 303. Kapitel |
[303] Erat in verborum splendore elegans, compositione aptus, facultate copiosus; eaque erat cum summo ingenio tum exercitationibus maxumis consecutus. Rem complectebatur memoriter, dividebat acute, nec praetermittebat fere quicquam, quod esset in causa aut ad confirmandum aut ad refellendum. Vox canora et suavis, motus et gestus etiam plus artis habebat quam erat oratori satis. Hoc igitur florescente Crassus est mortuus, Cotta pulsus, iudicia intermissa bello, nos in forum venimus.
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[303] Beim Glanz der Worte war er geschmackvoll, angemessen bei der Anordnung und reich an Beredsamkeit; und diese Dinge hatte er sowohl durch sein äußerst großes Talent als auch besonders durch außerordentliche Übung erreicht. Er erfasste die Sache mit Hilfe seines Gedächtnisses, teilte sie scharfsinnig auf, und ließ fast nichts aus, was in einem Fall entweder zur Bestätigung oder Widerlegung hätte dienen können. Seine Stimme war wohltönend und angenehm, seine Bewegung und Haltung hatte sogar mehr Kunst als für einen Redner ausreichte. Als dieser also erblühte, starb Crassus, Cotta wurde vertrieben, die Gerichtsprozesse wurden durch den Krieg unterbrochen, ich kam aufs Forum.
| 304. Kapitel |
[304] Erat Hortensius in bello primo anno miles, altero tribunus militum, Sulpicius legatus; aberat etiam M. Antonius; exercebatur una lege iudicium Varia, ceteris propter bellum intermissis; cui frequens aderam, quamquam pro se ipsi dicebant oratores; non illi quidem principes, L. Memmius et Q. Pompeius, sed oratores tamen teste diserto uterque Philippo, cuius in testimonio contentio et vim accusatoris habebat et copiam.
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[304] Hortensius war im ersten Kriegsjahr Soldat, im zweiten Militärtribun, Sulpicius Legat; Marcus Antonius war auch abwesend; das Gericht beschäftigte sich einzig mit dem Varischen Gesetz, nachdem die übrigen wegen des Krieges ausgesetzt worden waren; ich wohnte diesem oft bei, obgleich die Redner für sich selbst sprachen; zwar waren jene nicht die Vorzüglichsten, Lucius Memmius und Quintus Pompeius, aber sie waren doch zumindest beide Redner, wobei der beredte Philippus ihr Zeuge war, dessen leidenschaftliche Rede bei der Zeugenaussage sowohl die Wirkung als auch die Fülle eines Anklägers hatte.
| 305. Kapitel |
[305] Reliqui, qui tum principes numerabantur in magistratibus erant cotidieque fere a nobis in contionibus audiebantur. Erat enim tribunus plebis tum C. Curio, quamquam is quidem silebat, ut erat semel a contione universa relictus; Q. Metellus Celer non ille quidem orator, sed tamen non infans; diserti autem Q. Varius C. Carbo Cn. Pomponius, et hi quidem habitabant in rostris; C. etiam Iulius aedilis curulis cotidie fere accuratas contiones habebat. Sed me cupidissumum audiendi primus dolor percussit, Cotta cum est expulsus. Reliquos frequenter audiens acerrumo studio tenebar, cotidieque et scribens et legens et commentans, oratoriis tantum exercitationibus contentus non eram. Iam consequente anno Q. Varius sua lege damnatus excesserat.
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[305] Die Übrigen, die damals zu den vorzüglichsten Redner gezählt wurden, waren in Ämtern und wurden von mir fast täglich in Versammlungen angehört. Damals war nämlich Gaius Curius Volkstribun, obwohl er ja schwieg, seit er einmal von der gesamten Versammlung verlassen worden war; Quintus Metellus Celer war zwar kein Redner, aber dennoch nicht ohne die Gabe der Rede; Quintus Varius, Gaius Carbo und Gnaeus Pomponius waren beredt, und sie waren in der Tat auf der Rednerbühne zu Hause; auch der kurulische Ädil Gaius Julius hielt fast täglich sorgfältige Ansprachen an das Volk ab. Aber mich, in größter Begierde zuzuhören, traf der erste Schmerz, als Cotta verbannt wurde. Indem ich die Übrigen oft anhörte, wurde ich von heftigstem Eifer beseelt und, obwohl ich täglich schrieb, las und studierte, war ich mit bloßen Redeübungen nicht zufrieden. Bereits im folgenden Jahr ging Quintus Varius, nachdem er durch sein eigenes Gesetz verurteilt worden war, fort.
| 306. Kapitel |
[306] Ego autem iuris civilis studio multum operae dabam Q. Scaevolae P. f., qui quamquam nemini se ad docendum dabat, tamen consulentibus respondendo studiosos audiendi docebat. Atque huic anno proxumus Sulla consule et Pompeio fuit. Tum P. Sulpici in tribunatu cotidie contionantis totum genus dicendi penitus cognovimus; eodemque tempore, cum princeps Academiae Philo cum Atheniensium optumatibus Mithridatico bello domo profugisset Romamque venisset, totum ei me tradidi admirabili quodam ad philosophiam studio concitatus; in quo hoc etiam commorabar adtentius, quod - etsi rerum ipsarum varietas et magnitudo summa me delectatione retinebat - tamen sublata iam esse in perpetuum ratio iudiciorum videbatur.
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[306] Ich aber beschäftigte mich aus Interesse am Zivilrecht viel mit Quintus Scaevola, dem Sohn des Publius, der, obgleich er sich niemandem zum Lehren darbot, doch wenigstens Wissbegierigen lehrt, indem er denen, die um sein richterlicher Gutachten bittet, antwortet. Und diesem Jahr folgte jenes, als Sulla und Pompeius Konsuln waren. Damals lernte ich die ganze Redeweise des Publius Sulpicius, der in seinem Tribunat täglich in der Volksversammlung auftrat, inwendig kennen; und nachdem zurselben Zeit Philo, der Vorzüglichste der Akademie, mit den Optimaten der Athener im mithridatischen Krieg von zu Hause geflohen und nach Rom gekommen war, gab ich mich völlig diesem hin, angeregt durch eine gewisse bewundersnwerte Neigung zur Philosophie; bei dieser verweilte ich auch umso aufmerksamer, weil – wenn auch die Vielseitigkeit und der Umfang der Dinge selbst mich mit höchster Unterhaltung fesselte – doch der Sinn der Gerichte ohnehin schon für immer vernichtet zu sein schien.
| 307. Kapitel |
[307] Occiderat Sulpicius illo anno tresque proxumo trium aetatum oratores erant crudelissume interfecti, Q. Catulus M. Antonius C. Iulius. Eodem anno etiam Moloni Rhodio Romae dedimus operam et actori summo causarum et magistro. haec etsi videntur esse a proposita ratione diversa, tamen idcirco a me proferuntur, ut nostrum cursum perspicere, quoniam voluisti, Brute, possis - nam Attico haec nota sunt - et videre, quem ad modum simus in spatio Q. Hortensium ipsius vestigiis persecuti.
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[307] Sulpicius war in jenem Jahr umgekommen und im nächstfolgenden waren drei Redner dreier Generationen auf grausamste Weise ermordet worden, Quintus Catulus, Marcus Antonius, Gaius Iulius. Im selben Jahr widmete ich mich in Rom dem Molon aus Rhodos, dem sowohl besten Sachwalter als auch Lehrer. Auch wenn dies abseites meiner vorgenommenen Darstellungsweise zu sein scheint, führe ich es dennoch an, damit du, Brutus, meine Laufbahn, weil du es ja wolltest, durchschauen – denn dem Atticus sind diese Dinge bekannt – und sehen kannst, wie ich auf meiner Bahn dem Quintus Hortensius auf eben dessen Fußstapfen nachgefolgt bin.
| 308. Kapitel |
[308] Triennium fere fuit urbs sine armis; sed oratorum aut interitu aut discessu aut fuga - nam aberant etiam adulescentes M. Crassus et Lentuli duo - primas in causis agebat Hortensius, magis magisque cotidie probabatur Antistius, Piso saepe dicebat, minus saepe Pomponius, raro Carbo, semel aut iterum Philippus. At vero ego hoc tempore omni noctes et dies in omnium doctrinarum meditatione versabar.
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[308] Die Stadt war fast drei Jahre lang ohne Waffen; doch entweder aufgrund der Vernichtung, oder aufgrund des Weggangs oder der Flucht – denn auch junge Männer wie Marcus Crassus und die beiden Lentuli gingen weg – spielte Hortensius in Gerichtsprozessen die erste Rolle, Antistius wurde täglich mehr und mehr für gut befunden, Piso sprach oft, weniger oft Pomponius, selten Carbo, das ein oder andere Mal Philippus. Aber ich beschäftigte mich in dieser ganzen Zeit Tag und Nacht mit dem Studium aller Wissenschaften.
| 309. Kapitel |
[309] Eram cum Stoico Diodoto, qui, cum habitavisset apud me cumque vixisset, nuper est domi meae mortuus. A quo cum in aliis rebus tum studiosissime in dialectica exercebar, quae quasi contracta et astricta eloquentia putanda est; sine qua etiam tu, Brute, iudicavisti te illam iustam eloquentiam, quam dialecticam esse dilatatam putant, consequi non posse. Huic ego doctori et eius artibus variis atque multis ita eram tamen deditus, ut ab exercitationibus oratoriis nullus dies vacuus esset.
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[309] Ich befand mich im Umgang mit dem Stoiker Diodot, der, nachdem er bei mir gewohnt und gelebt hatte, vor Kurzem in meinem Haus starb. Von ihm wurde ich sowohl in anderen Sachen als auch ganz besonders in der Dialektik höchst eifrig ausgebildet, die man gewissermaßen für eine gedrängte und bündige Redekunst zu halten hat; auch du, Brutus, warst der Meinung, ohne diese könnest du jene Beredsamkeit, die als eine erweiterte Dialektik gilt, nicht vollständig erlangen. Diesem Lehrer und dessen vieleseitgen und zahlreichen Fähigkeiten hatte ich mich hingegeben, doch nur insofern, als dass kein Tag frei Redeübungen gewesen war.
| 310. Kapitel |
[310] Commentabar declamitans - sic enim nunc loquuntur - saepe cum M. Pisone et cum Q. Pompeio aut cum aliquo cotidie, idque faciebam multum etiam Latine, sed Graece saepius, vel quod Graeca oratio plura ornamenta suppeditans consuetudinem similiter Latine dicendi adferebat, vel quod a Graecis summis doctoribus, nisi Graece dicerem, neque corrigi possem neque doceri.
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[310] Ich bereitete mich vor, indem ich täglich deklamierte – denn so sagt man heute – oft mit Marcus Piso und Quintus Pompeius oder irgend jemandem, und zwar machte ich das vielmals auch auf Latein, aber öfter auf Griechisch, einerseits weil die griechische Sprache mehr Redeschmuck zur Verfügung stellt und die Fähigkeit entwickelt, in gleicher Weise auf Latein zu sprechen, andererseits weil ich von den besten griechischen Lehrern, außer wenn ich Griechisch spräche, weder verbessert noch gelehrt werden könnte.
| 311. Kapitel |
[311] Tumultus interim in recuperanda re publica et crudelis interitus oratorum trium, Scaevolae Carbonis Antisti, reditus Cottae Curionis Crassi Lentulorum Pompei; leges et iudicia constituta, recuperata res publica; ex numero autem oratorum Pomponius, Censorinus, Murena sublati. Tum primum nos ad causas et privatas et publicas adire coepimus, non ut in foro disceremus, quod plerique fecerunt, sed ut, quantum nos efficere potuissemus, docti in forum veniremus.
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[311] Indes gab es bei der Wiedererlangung der Macht im Staat Ausschreitungen und es fand eine grausame Ermordung dreier Redner statt: des Scaevola, des Carbo, des Antistus. Außerdem kehrten Cotta, Curio, Crassus, die Lentuli und Pompeius zurück; die Gesetze und Rechte wurden wieder hergestellt, die Macht im Staat wiedergewonnen; aus der Zahl der Redner hoben sich Pomponius, Censorinus und Murena hervor. Dann erst fing ich an, Rechtsfälle, sowohl private als auch öffentliche, zu übernehmen, und zwar nicht, um auf dem Forum zu lernen, was die meisten taten, sondern um so gebildet wie möglich auf dem Forum aufzutreten.
| 312. Kapitel |
[312] Eodem tempore Moloni dedimus operam; dictatore enim Sulla legatus ad senatum de Rhodiorum praemiis venerat. Itaque prima causa publica pro Sex. Roscio dicta tantum commendationis habuit, ut non ulla esset, quae non digna nostro patrocinio videretur. Deinceps inde multae, quas nos diligenter elaboratas et tamquam elucubratas adferebamus.
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[312] In derselben Zeit widmete ich mich dem Molon; unter Sullas Diktatur war er als Legat zum Senat wegen der Belohnung der Rhodier gekommen. So nun verschaffte mir mein erster öffentlicher Prozess, in dem ich für Sextus Roscius gesprochen hatte, soviel empfehlende Vermittlung, dass es nicht irgendeinen Prozess gab, der einer Vertretung durch mich nicht würdig schien. Daraufhin folgten viele Prozesse, die ich, nachdem ich sie sorgsam durchdacht und bei brennender Lampe bearbeitet hatte, vortrug.
| 313. Kapitel |
[313] Nunc quoniam totum me, non naevo aliquo aut crepundiis, sed corpore omni videris velle cognoscere, complectar nonnulla etiam, quae fortasse videantur minus necessaria. Erat eo tempore in nobis summa gracilitas et infirmitas corporis, procerum et tenue collum. Qui habitus et quae figura non procul abesse putatur a vitae periculo, si accedit labor et laterum magna contentio. Eoque magis hoc eos, quibus eram carus, commovebat, quod omnia sine remissione, sine varietate, vi summa vocis et totius corporis contentione dicebam.
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[313] Weil du mich nun offensichtlich ganz, und nicht nur in Hinsicht auf ein Muttermal oder Kinderspielzeug, sondern auch in Bezug auf meinen ganzen Körper kennenlernen willst, werde ich auch einiges anführen, das vielleicht weniger notwendig scheint. Zu dieser Zeit war ich von höchster Schlankheit und Schwäche des Körpers, einen hochgewachsenen und langen Hals. Dieser Zustand und diese Gestalt soll nicht fern von Lebensgefahr sein, wenn Arbeit und eine große Anstrengung der Lunge hinzukommen. Und umso mehr beunruhigte dies diejenigen, denen ich lieb war, weil ich alles ohne Entspannung, monoton, mit der äußersten Kraft und äußerster Anstrengung des ganzen Körpers aussprach.
| 314. Kapitel |
[314] Itaque cum me et amici et medici hortarentur, ut causas agere desisterem, quodvis potius periculum mihi adeundum quam a sperata dicendi gloria discedendum putavi. Sed cum censerem remissione et moderatione vocis et commutato genere dicendi me et periculum vitare posse et temperatius dicere, ut consuetudinem dicendi mutarem, ea causa mihi in Asiam proficiscendi fuit. Itaque cum essem biennium versatus in causis et iam in foro celebratum meum nomen esset, Roma sum profectus.
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[314] Als mich demnach sowohl Freunde als auch Ärzte aufforderten, es sein zu lassen, Prozesse zu führen, glaubte ich, ich müsse eher jede Gefahr auf mich nehmen als die Hoffnung auf Rederuhm aufzugeben. Weil ich aber glaubte, dass ich durch Senkung und Mäßigung meiner Stimme und durch eine Änderung der Art zu reden sowohl die Lebensgefahr vermeiden als auch gemilderter sprechen könne, hatte ich diesen Beweggrund, nach Asien abzureisen, um meine Redeweise zu ändern. Nachdem ich also zwei Jahre lang Rechtsprozessen beigwohnt hatte und auf dem Forum schon meine Name gefeiert worden war, reiste ich von Rom ab.
| 315. Kapitel |
[315] Cum venissem Athenas, sex menses cum Antiocho veteris Academiae nobilissumo et prudentissumo philosopho fui studiumque philosophiae numquam intermissum a primaque adulescentia cultum et semper auctum hoc rursus summo auctore et doctore renovavi. Eodem tamen tempore Athenis apud Demetrium Syrum veterem et non ignobilem dicendi magistrum studiose exerceri solebam. Post a me Asia tota peragrata est cum summis quidem oratoribus, quibuscum exercebar ipsis lubentibus; quorum erat princeps Menippus Stratonicensis meo iudicio tota Asia illis temporibus disertissimus; et, si nihil habere molestiarum nec ineptiarum Atticorum est, hic orator in illis numerari recte potest.
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[315] Nachdem ich in Athen angekommen war, blieb ich sechs Monate bei Antiochus, dem angesehensten und klügsten Philosophen der alten Akademie, und frischte mit diesem als mein größtes Vorbild und mein Lehrer mein Philosophiestudium wieder auf, das ich niemals unterbrochen, von frühster Jugend an betrieben und immer erweitert hatte. Zu derselben Zeit pflegte ich mich in Athen bei Demetrius, dem alten Syrer und nicht unberühmten Meister des Redens, eifrig zu üben. Danach wurde ganz Asien von mir durchwandert, ja ich war mit den besten Rednern zusammen. Mit diesen, die es selbst gern taten, übte ich mich; deren erster Mann war Menippus aus Stratonicea, der meiner Ansicht nach Beredsamste in ganz Asien; und, wenn es eine Eigenschaft der Attiker ist, nichts an Beschwerlichkeiten und Tändeleien zu gebrauchen, kann dieser Redner rechtmäßig unter jene gezählt werden.
| 316. Kapitel |
[316] Adsiduissime autem mecum fuit Dionysius Magnes; erat etiam Aeschylus Cnidius, Adramyttenus Xenocles. Hi tum in Asia rhetorum principes numerabantur. Quibus non contentus Rhodum veni meque ad eundem, quem Romae audiveram Molonem adplicavi, cum actorem in veris causis scriptoremque praestantem, tum in notandis animadvertendisque vitiis et instituendo docendoque prudentissimum. Is dedit operam, si modo id consequi potuit, ut nimis redundantis nos et supra fluentis iuvenili quadam dicendi impunitate et licentia reprimeret et quasi extra ripas diffluentis coerceret. Ita recepi me biennio post non modo exercitatior sed prope mutatus. Nam et contentio nimia vocis resederat et quasi deferverat oratio lateribusque vires et corpori mediocris habitus accesserat.
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[316] Mein beständigster Begleiter aber war Dionysius aus Magnesia; auch waren Aeschylus aus Knidos und Xenocles aus Adramytteum mit mir zusammen. Diese wurden damals in Asien zu den Vorzüglichsten Lehrern der Beredsamkeit gezählt.
Mit diesen nicht zufrieden, kam ich nach Rhodos und wendete mich an denselben Molon, den ich bereits in Rom angehört hatte: den nicht bloß in wirklichen Prozessen ausgezeichneten Sachwalter und Verfasser, sondern auch im Bemerken und Tadeln von Fehlern und im Unterrichten und Belehren Kundigsten. Dieser gab sich Mühe – sofern er dies erreichen konnte – mich hinsichtlich meiner gewissen jugendlichen Ungebundenheit und Frechheit des allzu ausschweifenden und darüber hinaus dahinfließenden Redens einzudämmen und mich hinsichtlich der des über die Ufer fließenden Redens zu zügeln. Und so kehrte ich zwei Jahre später zurück, nicht nur geübter, sondern beinahe verändert. Denn der allzu heftige Ton meiner Stimme hatte sich gelegt, meine Rede war gewissermaßen abgeklärt geworden, meiner Lunge wurden Kräfte und meinem Körper eine mittelmäßige Haltung zuteil.
| 317. Kapitel |
[317] Duo tum excellebant oratores, qui me imitandi cupiditate incitarent, Cotta et Hortensius; quorum alter remissus et lenis et propriis verbis comprendens solute et facile sententiam, alter ornatus, acer et non talis qualem tu eum, Brute, iam deflorescentem cognovisti, sed verborum et actionis genere commotior. Itaque cum Hortensio mihi magis arbitrabar rem esse, quod et dicendi ardore eram propior et aetate coniunctior. Etenim videram in isdem causis, ut pro M. Canuleio, pro Cn. Dolabella consulari, cum Cotta princeps adhibitus esset, priores tamen agere partis Hortensium. Acrem enim oratorem, incensum et agentem et canorum concursus hominum forique strepitus desiderat.
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[317] Dann ragten zwei Redner heraus, die mich mit der Gier sie nachzuahmen anspornten: Cotta und Hortensius; einer von ihnen war entspannt und gelinde, drückte seine Meinung mit gewöhnlichen Worten ungebunden und leicht aus, der andere war schmuckvoll, scharfsinnig und noch nicht so beschaffen, wie du ihn, Brutus, bereits im Verblühen kennengerlent hast, sondern leidenschaftlicher in Wortwahl und Vortragsweise. Demnach glaubte ich, für mich gebe es mit Hortensius einen größeren Nutzen, weil er mir sowohl im Feuer des Redens näher als auch im Alter verbundener war. Ich hatte nämlich gesehen, dass Hortensius in denselben Fällen, wie beispielsweise für Marcus Canuleius und für den Konsular Gnaeus Dolabella, obgleich Cotta als erster Mann herangezogen worden war, dennoch den Vorzug hatte. Denn der Zusammenlauf der Menschen und der Lärm des Forums verlangten einen durchdringenden Redner, einen feurigen, ausdrucksvollen und helltönenden.
| 318. Kapitel |
[318] Unum igitur annum, cum redissemus ex Asia, causas nobilis egimus, cum quaesturam nos, consulatum Cotta, aedilitatem peteret Hortensius. Interim me quaestorem Siciliensis excepit annus, Cotta ex consulatu est profectus in Galliam, princeps et erat et habebatur Hortensius. Cum autem anno post ex Sicilia me recepissem, iam videbatur illud in me, quicquid esset, esse perfectum et habere maturitatem quandam suam. Nimis multa videor de me, ipse praesertim; sed omni huic sermoni propositum est non, ut ingenium et eloquentiam meam perspicias, unde longe absum, sed ut laborem et industriam.
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[318] Also führte ich, nachdem ich aus Asien zurückgekehrt war, ein Jahr lang berühmte Prozesse, als ich mich um die Quästur, Cotta sich um das Konsulat und Hortensius sich um die Ädilität bewarb. Unterdessen empfing mich das sizilische Jahr als Quästor, Cotta brach sogleich nach seinem Konsulat nach Gallien auf, als erster Mann galt Hortensius und er war es. Nachdem ich mich aber ein Jahr später aus Sizilien zurückgezogen hatte, schien bereits jenes in mir, was auch immer es war, vollendet zu sein und eine gewisse Reife zu haben. Ich scheine zu viel über mich zu sagen, zumal ich selbst rede. Aber diese ganze Rede hat nicht das Ziel, dass du mein Talent und meine Beredsamkeit erkennst, wovon ich weit weg bin, sondern meine Mühe und meinen Fleiß.
| 319. Kapitel |
[319] Cum igitur essem in plurumis causis et in principibus patronis quinquennium fere versatus, tum in patrocinio Siciliensi maxume in certamen veni designatus aedilis cum designato consule Hortensio. Sed quoniam omnis hic sermo noster non solum enumerationem oratoriam, verum etiam praecepta quaedam desiderat, quid tamquam notandum et animadvertendum sit in Hortensio breviter licet dicere.
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[319] Nachdem ich mich also fast fünf Jahre mit äußerst vielen Fällen und den besten Anwälten herumgeschlagen hatte, kam ich als designierter Ädil bei der Verteidigung Siziliens in einen äußerst massiven Streit mit dem designierten Konsul Hortensius. Aber weil dieses ganze unsrige Gespräch nicht nur eine Aufzählung von Rednern, sondern auch gewisse Lehren verlangt, darf ich kurz anmerken, was bei Hortensius so zu sagen zu beobachten und zu tadeln ist.
| 320. Kapitel |
[320] Nam is post consulatum – credo, quod videret ex consularibus neminem esse secum comparandum, neglegeret autem eos, qui consules non fuissent - summum illud suum studium remisit, quo a puero fuerat incensus, atque in omnium rerum abundantia voluit beatius, ut ipse putabat, remissius certe vivere. Primus et secundus annus et tertius tantum quasi de picturae veteris colore detraxerat, quantum non quivis unus ex populo, sed existumator doctus et intellegens posset cognoscere. Longius autem procedens ut in ceteris eloquentiae partibus, tum maxume in celeritate et continuatione verborum adhaerescens, sui dissimilior videbatur fieri cotidie.
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[320] Denn dieser ließ nach seinem Konsulat – ich glaube, weil er sah, dass niemand von den Konsularen mit ihm vergleichbar war, aber er diejenigen nicht achtete, die keine Konsuln gewesen waren – von jenem seinem höchster Eifer ab, von welchem er von Kindheit an entbrannt gewesen war, und wollte im Überfluss an allen Dingen glücklicher, wie er selbst meinte, doch sicherlich geistig nachlässiger leben. Das erste, zweite und dritte Jahr hatten – gleichwie von der Farbe eines alten Gemäldes – soviel weggenommen, wie viel zwar nicht ein jeder aus dem Volk, doch ein gelehrter und verständiger Kunstrichter erkennen konnte. Er aber wurde älter und schien sich selbst Tag für Tag unähnlicher zu werden, indem er wie in den übrigen Teilen der Redekunst, so auch besonders in der Schnelligkeit und der unmittelbaren Aufeinanderfolge von Worten stockte.
| 321. Kapitel |
[321] Nos autem non desistebamus cum omni genere exercitationis tum maxume stilo nostrum illud, quod erat, augere, quantumcumque erat. Atque ut multa omittam in hoc spatio et in his post aedilitatem annis, et praetor primus et incredibili populari voluntate sum factus. Nam cum propter adsiduitatem in causis et industriam tum propter exquisitius et minime vulgare orationis genus animos hominum ad me dicendi novitate converteram.
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[321] Ich aber hörte nicht auf sowohl mit jeder Art der Übung als auch besonders mit dem Schreiben jenes meine, was es auch war, wie groß es auch war, zu vermehren. Und ich wurde – um vieles in dieser Zeit und diesen Jahren nach meiner Ädilität zu übergehen – zuerst zum Prätor ernannt und zwar mit unglaublichem Willen des Volkes. Denn sowohl wegen meiner Unablässigkeit in Rechtsfällen und meines Fleißes als auch wegen meiner vorzüglicheren und keineswegs gewöhnlichen Redeweise hatte ich durch das Neue an meinem Reden die Herzen der Menschen für mich gewonnen.
| 322. Kapitel |
[322] Nihil de me dicam: dicam de ceteris, quorum nemo erat, qui videretur exquisitius quam volgus hominum studuisse litteris, quibus fons perfectae eloquentiae continetur; nemo, qui philosophiam complexus esset matrem omnium bene factorum beneque dictorum; nemo, qui ius civile didicisset rem ad privatas causas et ad oratoris prudentiam maxume necessariam; nemo, qui memoriam rerum Romanarum teneret, ex qua, si quando opus esset, ab inferis locupletissimos testes excitaret; nemo, qui breviter arguteque incluso adversario laxaret iudicum animos atque a severitate paulisper ad hilaritatem risumque traduceret; nemo, qui dilatare posset atque a propria ac definita disputatione hominis ac temporis ad communem quaestionem universi generis orationem traducere; nemo, qui delectandi gratia digredi parumper a causa, nemo qui ad iracundiam magno opere iudicem, nemo, qui ad fletum posset adducere, nemo, qui animum eius, quod unum est oratoris maxume proprium, quocumque res postularet, impellere.
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[322] Ich will nichts weiter über mich sagen: Ich will über die Übrigen sprechen, von denen es niemanden gab, der sich vorzüglicher als die Masse der Menschen mit den Wissenschaften befasst zu haben schien, durch die der Quell an vollendeter Redekunst aufrecht erhalten wird; niemanden, der die Philosophie als Mutter aller guten Handlungen und Worte aufgefasst hatte; niemanden, der Zivilrecht studiert hatte, eine für private Angelgenheiten und für die Klugheit des Redners äußerste notwendige Sache; niemanden, der die römische Geschichte im Gedächtnis hatte, aus welchem er, wenn es nötig gewesen wäre, die glaubwürdigsten Zeugen aus der Unterwelt hätte heraufrufen können; niemanden, der, nachdem er den Gegner mit wenigen Worten scharfsinnig eingeschlossen hatte, die Gemüter der Richter erleichterte und sie von ihrem Ernst ein wenig zu Frohsinn und zum lachen brachte; niemanden, der seine Rede ausweiten und sie von der eigentlichen und speziellen Abhandlung von Mensch und Zeit zu einer Untersuchung allgemeiner Art führen konnte; niemanden, der um des Vergnügens willen kurzweilig von seinem Fall abzuschweifen vermochte, niemanden, der den Richter zur Weißglut, niemanden, der ihn zum Weinen bringen konnte, niemanden, der dessen Geist – was das wesentlichste Merkmal eines Redners ist – leiten konnte, wohin auch immer es die Situation gerade erforderte.
| 323. Kapitel |
[323] Itaque cum iam paene evanuisset Hortensius et ego anno meo, sexto autem post illum consulem, consul factus essem, revocare se ad industriam coepit, ne, cum pares honore essemus, aliqua re superiores videremur. Sic duodecim post meum consulatum annos in maxumis causis, cum ego mihi illum, sibi me ille anteferret, coniunctissime versati sumus, consulatusque meus, qui illum primo leviter perstrinxerat, idem nos rerum mearum gestarum, quas ille admirabatur, laude coniunxerat.
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[323] Daher fing Hortensius, nachdem er schon beinahe verschwunden war und ich sechs Jahre nach seinem Konsulat zum Konsul gewählt worden war, wieder an, fleißig zu sein, damit ich nicht, weil ich ihm in Ehre ebenbürtig war, in irgendeiner anderen Sache überlegen zu sein schien. So haben wir uns den zwölf Jahren nach meinem Konsulat auf äußerste vertraute Weise mit sehr bedeutenden Fällen beschäftigt, während ich ihn über mich, jener mich über sich stellte, und mein Konsulat, das jenen zunächst leicht unangenehm berührt hatte, verband uns zugleich durch den Ruhm meiner Taten, die jener immerzu bewunderte.
| 324. Kapitel |
[324] Maxume vero perspecta est utriusque nostrum exercitation, paulo ante quam perterritum armis hoc studium, Brute, nostrum conticuit subito et obmutuit: cum lege Pompeia ternis horis ad dicendum datis ad causas simillumas inter se vel potius easdem novi veniebamus cotidie. Quibus quidem causis tu etiam, Brute, praesto fuisti complurisque et nobiscum et solus egisti, ut, qui non satis diu vixerit, Hortensius tamen hunc cursum confecerit: annis ante decem causas agere coepit quam tu es natus; idem quarto et sexagensumo anno, perpaucis ante mortem diebus, una tecum socerum tuum defendit Appium. Dicendi autem genus quod fuerit in utroque, orationes utriusque etiam posteris nostris indicabunt.
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[324] Besonders wurde die Übung von uns beiden in Augenschein genommen, kurz bevor dieser unsrige Eifer, Brutus, durch Waffen massiv erschreckt, plötzlich verstummte und aufhörte: weil uns mit der Lex Pompeia täglich drei Stunden zum Reden gegeben worden, kamen wir zuletzt zu einander sehr ähnlichen oder vielmehr gleichen Prozessen. Ja diesen warst sogar du, Brutus, zugegen und hast mehrere Fälle sowohl mit uns als auch allein verhandelt, sodass Hortensius, ogleichl er nicht lange gelebt genug hat, dennoch diese Laufbahn vollendet hat. Zehn Jahre früher als du geboren wurdest, fing er an Prozesse zu führen; derselbe verteidgte in seinem 64. Lebensjahr, wenige Tage vor seinem Tod, mit dir deinen Schwiegervater Appius. Welche Redeweise in beiden steckte, werden die Reden von beiden auch unseren Nachfahren offenbaren.
| 325. Kapitel |
[325] Sed si quaerimus, cur adulescens magis floruerit dicendo quam senior Hortensius, causas reperiemus verissumas duas. Primum, quod genus erat orationis Asiaticum adulescentiae magis concessum quam senectuti. Genera autem Asiaticae dictionis duo sunt: unum sententiosum et argutum, sententiis non tam gravibus et severis quam concinnis et venustis, qualis in historia Timaeus, in dicendo autem pueris nobis Hierocles Alabandeus, magis etiam Menecles frater eius fuit, quorum utriusque orationes sunt in primis - ut Asiatico in genere - laudabiles. Aliud autem genus est non tam sententiis frequentatum quam verbis volucre atque incitatum, quali est nunc Asia tota, nec flumine solum orationis sed etiam exornato et faceto genere verborum, in quo fuit Aeschylus Cnidius et meus aequalis Milesius Aeschines. In his erat admirabilis orationis cursus, ornata sententiarum concinnitas non erat.
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[325] Aber wenn wir uns fragen, warum Hortensius im Reden als junger Mann mehr glänzte denn als alter Mann, werden wir zwei Gründe finden. Erstens, weil seine asiatische Redeweise mehr der Jugend als dem Alter zugestanden worden war. Es gibt aber zwei Stile der asiatischen Rede: Der eine ist gedankenreich und tiefgehend, nicht so sehr von schweren und strengen als vielmehr von gefälligen und angenehmen Gedanken, wie Timaeus bei der Geschichtsschreibung, beim Sprechen aber wie Hierokles aus Alabanda in meiner Jugend, mehr noch wie dessen Bruder Menekles war. Die Reden von diesen beiden sind - für den asiatischen Stil - besonders lobenswert. Der andere Stil hingegen ist nicht so reich an Gedanken als vielmehr durch Worte beflügelt und beschleunigt – ganz Asien hat momentan einen solchen Stil – und ist nicht nur von Redestrom, sondern auch von geschmückter und ansprechender Art der der Worte – zu diesem Stil gehörten Aeschylus aus Knidos und mein Altersgenosse Aeschines aus Milet. Bei diesen herrschte ein bewundernswerter Lauf der Rede, keine geschmückte harmonische Gliederung der Gedanken.
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Anmerkungen und Hilfen
[302]
quin : modales quin „ohne dass“
[305]
tantum : Adverb „nur, bloß“
[306]
multum operae dabam Q. Scaevolae P. f. : aufgelöst Publii filio; operam dare alicui (rei) bedeutet „seine Mühe (Zeit) jemandem oder eine Sache geben“, d.h. „seine Mühe (Zeit) für jemanden aufwenden, sich jemandem widmen, sich mit ihm beschäftigen.“
studiosos audiendi : Genitivus obiectivus „strebend nach Zuhören”
concitatus : prädikativ
[308]
primas in causis agebat : zu ergänzen partes, so wie unser „die erste Rolle / die Hauptrolle spielen”.
[309]
iustam : prädikativ zu eloquentiam „als rechte, vollständige, in voller Form“
quam dialecticam esse dilatatam putant : verallgemeinernde dritte Person Plural „man glaubt“; außerdem ist der Relativsatz durch den eingeschobenen AcI verschränkt.
ita […] tamen, ut : Weniger drückt das ut eine Folge aus, als dass es restriktiv gebraucht wird, um den Gültigkeitsbereich der Aussage des ita-Satzes einzuschränken: „ich hatte mich gewidmet, doch nur (tamen) insofern (ita), als dass (ut).“
[310]
declamitans : declamitare „laut aufsagen“, um etwas zu memorieren.
Graeca oratio […] consuetudinem similiter Latine dicendi adferebat : afferre bedeutet auch „mit sich bringen” und in diesem Sinne „verursachen / entwickeln“; consuetudo heißt eigentlich „Gewohnheit“, bisweilen auch so etwas wie „gewohnte Ausdrucksweise“ oder „Redeweise“; da letzteres zwar an dieser Stelle gemeint ist, der Begriff des Redens aber schon in dicendi enthalten wird, bietet es sich an consuetudo als „Fähigkeit“ zu übersetzen. Die Stelle meint nämlich, dass Cicero über die griechische Sprache, die – wie er anführt – über eine größere Ausdrucks- und Wortfülle verfügt, beim Sprechen auf Lateinisch profitieren kann. So bringe die oratio Graeca die Fähigkeit (Gewohnheit; consuetudo) mit sich (afferebat), auf gleiche Weise auf Lateinisch zu sprechen ( similiter Latine dicendi), das meint griechische Worte ins Lateinische zu übernehmen bzw. zu latinisieren.
[311]
reditus Cottae Curionis Crassi Lentulorum Pompei : eig. „es fand die Rückkehr des Cotta […] statt“.
[312]
causa publica : ein Prozess, der Staatsangelegenheiten betrifft; Gegensatz causa privata oder civile (zivilrechtlicher Prozess).
[314]
a sperata dicendi gloria : dominantes Partizip
commutato genere dicendi : siehe vorige Bemerkung
[315]
hoc […] summo auctore et doctore : nominaler Abl. Abs.
quibuscum exercebar ipsis lubentibus : Das Partizip bzw. Partizipialadjektiv lubentibus ist auf quibuscum bezogen.
nihil habere molestiarum nec ineptiarum Atticorum est : molestiarum und ineptiarum sind Genitivi partitivi zu nihil; Atticorum ist zu esse gehörig und ein prädikativ gebrauchter Genitivus possessivus in übertragener Bedeutung; habere ist Subjektsinfinitiv.
[316]
contentus : steht mit dem Ablativ (limitationis)
cum […] tum […] : „sowohl als auch / nicht nur, sondern auch“; der gesamte Ausdruck ist als Apposition zu Molon zu verstehen.
si modo id consequi potuit : si modo leitet keinen Konditionalsatz, sondern einen Restriktivsatz (insofern, insoweit) ein. Auch wenn diese beiden Sätze sich sehr nahestehen, gibt es dennoch einen marginalen Unterschied: Ein Restriktivsatz bedingt die übergeordnete Aussage nicht, sondern beschränkt sie.
[…] redundantis nos et supra fluentis iuvenili quadam dicendi impunitate et licentia reprimeret et quasi extra ripas diffluentis coerceret. : diffluentis dürfte als Genitiv analog zu redunantis und fluentis verstanden werden und somit ebenfalls zu dicendi gehören; sinngemäß also: […]et nos impunitate et licentia quasi extra ripas diffluentis dicendi (= und mich hinsichtlich der Ungebundenheit und Frechheit des gleichsam über die Ufer schwemmenden Redens zügeln).
[317]
iam deflorescentem : als seine Glanzperiode schon vorüber war
priores partes : den Vorrang; ähnlich [308] primas partes.
[320]
remissius certe vivere : stellt einen Gegensatz zu beatius dar; dies sei der, von Cicero unterstellte, wahre Grund des Weggangs von Hortensius.
ut […], tum maxume : „wie […] so auch besonders“
Longius autem procedens […] adhaerescens : Die Zeit läuft fort, er selbst dagegen bleibt stehen und entwickelt sich nicht mehr weiter.
[322]
nemo erat, qui (+ Konj.) : konsekutiver Nebensinn
bene factorum beneque dictorum : Die Adverbien stehen, weil factum und dictum ursprünglich partizipiale und somit verbale Formen waren, die zu einem quasi-Substantiv erstarrt sind bzw. so gebraucht werden.
memoriam rerum Romanarum teneret : eigentlich „die Erinnerung an die römischen Taten (Genitivus obiectivus) innehaben“; meint soviel wie „ein meisterlicher Kenner der römischen Geschichte sein“.
ex qua, si quando opus esset, ab inferis locupletissimos testes excitaret : die konditionale Periode ist potential aufzufassen (coniunctivus potentialis der Vergangenheit]).
quod unum est oratoris maxume proprium : bezieht sich auf den übergeordneten Satz, nicht auf animum, was grammatikalisch auch überhaupt nicht möglich ist.
[324]
simillumas : simillimas (Superlativ zu similis)
qui non satis diu vixerit : konzessiver Relativsatz
[325]
ut Asiatico in genere : ut wird hier zur Einschränkung der Aussage bzw. zur Angabe eines Maßstabs (Vgl. Ablativus limitationis und Dativus commodi / respectus) benutzt und entspricht damit unserem „für“ i. S. v. „für asiatische Reden waren sie besonders lobenswert = innerhalb der asiatischen Redekunst sind diese besonders hervorzuheben“.
quali […] flumine […] exornato et faceto genere : Ablativi qualitatis
in quo fuit Aeschylus Cnidius et meus aequalis Milesius Aeschines : Bezieht sich zurück auf das Ganze zuvor gesagte bzw. auf den zweiten Stil (Aliud autem genus) und wohl eher nicht nur auf genere verborum.
concinnitas : „die Harmonie, die harmonische Gliederung”
primas tenebat : Vgl. Anmerkungen [308]
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