Übersetzungen - Tacitus
Tacitus - Agricola - Kapitel XLIII-XLVI : Tod Agricolas - Tacitus' Nachruf
23.11.2013 - 14:39

Kapitel XLIII-XLVI : Tod Agricolas - Tacitus' Nachruf



[43] Tod Agricolas - Vergiftung?
[44] Tacitus' Nachruf auf Agricola - Lob des Charakters
[45] Tacitus' Nachruf auf Agricola - Trostgründe
[46] Tacitus' Nachruf auf Agricola - Aufforderung zum Erhalt des Andenkens und zur Beispielnahme an Agricola



43. Tod Agricolas - Vergiftung?


[43] Finis vitae eius nobis luctuosus, amicis tristis, extraneis etiam ignotisque non sine cura fuit. Vulgus quoque et hic aliud agens populus et ventitavere ad domum et per fora et circulos locuti sunt; nec quisquam audita morte Agricolae aut laetatus est aut statim oblitus. Augebat miserationem constans rumor veneno interceptum: nobis nihil comperti, ut adfirmare ausim. Ceterum per omnem valetudinem eius crebrius, quam ex more principatus per nuntios visentis, et libertorum primi et medicorum intimi venere, sive cura illud sive inquisitio erat. Supremo quidem die momenta ipsa deficientis per dispositos cursores nuntiata constabat, nullo credente sic adcelerari, quae tristis audiret. Speciem tamen doloris animo vultuque prae se tulit, securus iam odii et qui facilius dissimularet gaudium quam metum. Satis constabat lecto testamento Agricolae, quo coheredem optimae uxori et piissimae filiae Domitianum scripsit, laetatum eum velut honore iudicioque. Tam caeca et corrupta mens adsiduis adulationibus erat, ut nesciret a bono patre non scribi heredem nisi malum principem.


[43] Sein Lebensende war für uns trauervoll, für seine Freunde betrübend und ging auch an Fernerstehenden und Unbekannten nicht spurlos vorbei. Auch die gemeinen Leute und dasjenige Volk, was sich um anderes kümmert, kamen oft zu seinem Haus und sprachen auf den Foren und im Privatkreis über ihn; und niemand war, nachdem er von Agricolas Tod gehört hatte, fröhlich oder vergaß ihn sofort. Das beständige Gerede, Agricola sei vergiftet worden, mehrte das Bedauern. Mir ist nichts so gewiss, dass ich es zu bestätigen wagen möchte. Aber während seiner gesamten Krankheit kamen sowohl die Ersten der Freigelassenen als auch vertrauteste Ärzte häufger als nach Sitte des Kaisertums, das durch seine Boten besuchte – mag dies nun Fürsorge oder Nachforschung gewesen sein. Am letzten Tag jedenfalls, so steht es fest, wurden selbst die Stadien des Dahinscheidenden durch aufgestellte Laufboten vermeldet, ohne dass einer glaubte, dass auf solche Weise beschleunigt wurde, was er traurig hörte. Doch den Schein des Schmerzes schützte er mit seiner Stimmung und Miene vor, bereits von der Sorge des Hasses befreit und als einer, der Freude leichter als Furcht verhehlen konnte. Es steht zur Genüge fest, dass nach Verlesung von Agricolas Testament, in dem er Domitian als Miterben neben seiner höchst edlen Ehefrau und seiner äußerst pflichtgetreuen Tocher festgeschrieben hatte, sich dieser freute, als wäre ein ehrender Beschluss verlesen worden. So blind und korrupt war sein Verstand durch beständige Schmeicheleien, dass er nicht mal wusste, dass von einem guten Vater nur ein schlechter Kaiser zum Erben bestimmt wurde.

44. Tacitus' Nachruf auf Agricola - Lob des Charakters


[44] Natus erat Agricola Gaio Caesare tertium consule idibus Iuniis: excessit quarto et quinquagesimo anno, decimum kalendas Septembris Collega Priscoque consulibus. Quod si habitum quoque eius posteri noscere velint, decentior quam sublimior fuit; nihil impetus in vultu: gratia oris supererat. Bonum virum facile crederes, magnum libenter. Et ipse quidem, quamquam medio in spatio integrae aetatis ereptus, quantum ad gloriam, longissimum aevum peregit. Quippe et vera bona, quae in virtutibus sita sunt, impleverat, et consulari ac triumphalibus ornamentis praedito quid aliud adstruere fortuna poterat? Opibus nimiis non gaudebat, speciosae contigerant. Filia atque uxore superstitibus potest videri etiam beatus incolumi dignitate, florente fama, salvis adfinitatibus et amicitiis futura effugisse. Nam sicut ei non licuit durare in hanc beatissimi saeculi lucem ac principem Traianum videre, quod augurio votisque apud nostras auris ominabatur, ita festinatae mortis grande solacium tulit evasisse postremum illud tempus, quo Domitianus non iam per intervalla ac spiramenta temporum, sed continuo et velut uno ictu rem publicam exhausit.


[44] Agricola wurde an den Iden des Junis, als Gaius Caesar zum dritten Mal das Konsulat bekleidete, geboren: Er schied im 54. Lebensjahr aus dem Leben, am 23. August, unter den Konsuln Collega und Priscus. Sollten nun auch seine Nachfahren etwas über sein Aussehen wissen wollen, er war eher wohl- als hochgestaltet; kein Drang in seiner Miene: Wohlgefälligkeit des Gesichts überwiegte. Für einen guten Mann hätte man ihn leicht halten können, für einen großen gern. Und er selbst lebte freilich, obwohl inmitten der Zeitspanne unentkräfteten Alters entrissen, soviel den Ruhm betrifft, ein äußerst langes Leben. Ja er hatte die wahrlich guten Dinge, die auf seinen Tugenden basieren, vollkommen ausgefüllt, und was hätte dem Konsular und dem mit Triumphalinsignien Versehenen das Schicksal noch hinzugeben können? Über allzu großen Reichtum freute er sich nicht, ansehnlich war ihm zuteil geworden. Weil Tochter und Ehefrau ihn überlebten, kann er den Anschein erwecken, bei unversehrter Würde, blühendem Ruhm und noch lebenden Verwandten und Freunden dem Kommenden entgangen zu sein. Denn es war ihm zwar nicht erlaubt, bis zu diesem Licht eines äußerst glücklichen Zeitalters am Leben zu bleiben und den Princeps Trajan zu sehen, was er durch Vorzeichen und mit Wünschen vor unseren Ohren weissagte, aber großen Trost für seinen vorzeitigen Tod brachte, dass er jenen letzten Zeit entwichen war, in der Domitian nicht mehr in Intervallen und mit Pausen, sondern ununterbrochen und gleichsam in einem Schlag das Gemeinwesen ausschöpfte.

45. Tacitus' Nachruf auf Agricola - Trostgründe


[45] Non vidit Agricola obsessam curiam et clausum armis senatum et eadem strage tot consularium caedes, tot nobilissimarum feminarum exilia et fugas. Una adhuc victoria Carus Mettius censebatur, et intra Albanam arcem sententia Messalini strepebat, et Massa Baebius iam tum reus erat: mox nostrae duxere Helvidium in carcerem manus; nos Maurici Rusticique visus foedavit; nos innocenti sanguine Senecio perfudit. Nero tamen subtraxit oculos suos iussitque scelera, non spectavit: praecipua sub Domitiano miseriarum pars erat videre et aspici, cum suspiria nostra subscriberentur, cum denotandis tot hominum palloribus sufficeret saevus ille vultus et rubor, quo se contra pudorem muniebat. Tu vero felix, Agricola, non vitae tantum claritate, sed etiam opportunitate mortis. Ut perhibent, qui interfuere novissimis sermonibus tuis: constans et libens fatum excepisti, tamquam pro virili portione innocentiam principi donares. Sed mihi filiaeque eius praeter acerbitatem parentis erepti auget maestitiam, quod adsidere valetudini, fovere deficientem, satiari vultu complexuque non contigit. Excepissemus certe mandata vocesque, quas penitus animo figeremus. Noster hic dolor, nostrum vulnus, nobis tam longae absentiae condicione ante quadriennium amissus est. Omnia sine dubio, optime parentum, adsidente amantissima uxore superfuere honori tuo: paucioribus tamen lacrimis comploratus es, et novissima in luce desideravere aliquid oculi tui.


[45] Nicht sah Agricola die Kurie belagert und den Senat mit Waffengewalt geschlossen und nicht den Mord an so vielen Konsularen durch dieselbe Verwüstung, Verbannung und Flucht sovieler höchst angesehener Frauen. Nach bis dahin einem Sieg wurde Metius geschätzt, und innerhalb der albanischen Burg lärmte die Meinungsäußerung des Messalinus, und dann war Massa Baebius schon Angeklagter: Bald führten unsere Hände Helvidius in den Kerker; uns entehrte der Anblick des Mauricus und Rusticus, uns übergoss Senecio mit seinem unschuldigem Blut. Nero hat immerhin seine Augen weggewendet und Verbrechen befohlen, nicht ihnen zugesehen. Das hauptsächliche Elend unter Domitian bestand im Sehen und Gesehenwerden, als unsere Seufzer aufgezeichnet wurden, als für das Kenntlichmachen so vieler Männer Blässe jene rasende Miene und Röte genügte, mit der er sich gegen Scham verwahrte. Du aber warst in der Tat von Glück gesegnet, Agricola, nicht nur wegen deines Lebens Glanzes, sondern auch des günstigen Zeitpunktes deines Todes wegen. Wie diejenigen, die deinen letzten Gesprächen beiwohnten, erzählen: standhaft und willig hast du dich deines Schicksal angenommen, als hättest du, soweit du konntest, den Princeps von Unschuld freigesprochen. Aber mir und seiner Tochter mehrte neben der Bitterkeit, dass uns der Vater entrissen ward, die Traurigkeit, dass es uns nicht zuteil wurde, ihm bei seiner Krankheit zur Seite zu stehen, den Dahinschwindenen zu hegen und zu pflegen, uns an seinem Gesicht und Umarmung zu sättigen. Gewiss hätten wir Weisungen und Worte vernommen, um sie tief in unserem Herzen zu verankern. Dies ist unser Schmerz, unsere Wunde, unter dem Umstand einer so langen Abwesenheit haben wir ihn vier Jahre vorher verloren. Zweifellos alles, bester der Väter, war im Beisein deiner liebenden Ehefrau im Überflüss zu deiner Ehre vorhanden: Doch mit zu wenig Tränen bist du beweint worden, und am letzten Tag vermissten deine Augen etwas.

46. Tacitus' Nachruf auf Agricola - Aufforderung zum Erhalt des Andenkens und zur Beispielnahme an Agricola


[46] Si quis piorum manibus locus, si, ut sapientibus placet, non cum corpore extinguuntur magnae animae, placide quiescas, nosque domum tuam ab infirmo desiderio et muliebribus lamentis ad contemplationem virtutum tuarum voces, quas neque lugeri neque plangi fas est. Admiratione te potius et immortalibus laudibus et, si natura suppeditet, similitudine colamus: is verus honos, ea coniunctissimi cuiusque pietas. Id filiae quoque uxorique praeceperim, sic patris, sic mariti memoriam venerari, ut omnia facta dictaque eius secum revolvant, formamque ac figuram animi magis quam corporis complectantur, non quia intercedendum putem imaginibus, quae marmore aut aere finguntur, sed, ut vultus hominum, ita simulacra vultus imbecilla ac mortalia sunt, forma mentis aeterna, quam tenere et exprimere non per alienam materiam et artem, sed tuis ipse moribus possis. Quidquid ex Agricola amavimus, quidquid mirati sumus, manet mansurumque est in animis hominum in aeternitate temporum fama rerum; nam multos veterum velut inglorios et ignobilis oblivio obruit: Agricola posteritati narratus et traditus superstes erit.


[46] Wenn es für die Manen frommer Menschen irgendeinen Platz gibt, wenn – wie die Weisen meinen – große Seelen nicht mit dem Körper erlöschen, dann mögest du sanft ruhen, und uns und dein Haus von schwächlicher Sehnsucht und dem Klagen der Frauen zur Betrachtung deiner Verdienste rufen, die weder beweint noch betrauert werden dürfen. Lieber mit Bewunderung und unsterblichen Lobpreisungen und, wenn unser Wesen dazu in der Lage sein sollte, durch Nacheiferung lasst uns dich ehren: dies ist die wahre Ehre, dies die fromme Pflicht eines jeden dir Nahestenden. Dies möchte ich auch Tochter und Frau ans Herz legen, nämlich das Andenken an den Vater und Ehemann so in Ehren zu halten, dass sie sich stets all seine Taten und Worte vergegenwärtigen und mehr Wert auf die Gestalt und Beschaffenheit seines Geistes als auf die seines Körpers legen; nicht weil ich glauben würde, man müsse aus Marmor oder Erz gefertigte Statue verbieten, sondern weil Bildnisse des Gesichts genauso vergänglich und sterblich sind, wie das Gesicht der Menschen selbst, die Gestalt des Geistes aber ewig, den du nicht in fremdem Material und Kunst, sondern durch dein Verhalten selbst zu erhalten und darzustellen vermagst. Was auch immer an Angricola wir geliebt, was auch immer wir bewundert haben, es bleibt und wird für immer durch die Geschichte in den Herzen der Menschen bleiben; denn viele der Alten überschüttete – als wären sie ruhmlos und unbekannt gewesen – Vergessenheit: doch Agricola, der Nachwelt geschildert und überliefert, wird überleben.


Anmerkungen und Hilfen


[43]

ventitavere : Frequentativum zu venire
rumor veneno interceptum : sc. Agricolam; explikativer AcI
nihil comperti : Genitivus partitivus „nichts an sicher Erfahrenem“
ut adfirmare ausim : Potentialis im Konsekutivsatz
quam ex more principatus per nuntios visentis : der Vergleichsgegenstand ist ein Präpositionalausdruck mit angeschlossenem Partizip
principatus : Abstractum pro Concreto [ = principum], generalisierend
inquisitio : ob denn das Gift auch wirke
nullo credente sic adcelerari, quae tristis audiret : der Relativsatz ist konsekutiv oder final gefärbt (eventuell ist der Konjunktiv auch nur obliquus) und fungiert syntaktisch als Subjektsakkusativ; zu verstehen ist der ganze Satz so: Niemand wusste, dass die Kunde, die er über den sterbenden Agricola vernahm, durch die Boten ebendazu beschleunigt wurde, damit man sie umso schneller vernehme, damit jeder (und erst recht der Kaiser) sofort weiß, dass Agricola tot ist; sic verweist zurück auf dispositos cursoribus
securus iam odii et qui facilius dissimularet gaudium quam metum : securus und der Relativsatz (sc. homo, qui) sind beide prädikativ auf Domitianus; der RS ist konsekutiv
quo … scripsit : der Lateiner konstruiert hier instrumental, der Deutsche lokal
optimae uxori et piissimae filiae : Dativus (in)commodi; man beachte die schmückenden Superlative bei den Familienmitgliedern und den leer ausgehenden Domitian
honore iudicioque : Abl. causae zu laetatum; Hendiadyoin
ut nesciret a bono patre non scribi heredem nisi malum principem : scharf antithetisch zu honore iudicioque und höchst despektierlich gegen Domitian; vor schlechten Kaisern musste man nämlich Angst haben und bestimmte sie daher zum Miterben, um die eigene Familie zu schützen, cf. Peter (1876), 101


[44]

decimum kalendas Septembris : [= ante diem decimum Kalendas Septembris], i. e. 23. August
crederes : potentialis der Vergangenheit; es schwebt vor „wenn man zu seiner Zeit gelebt und ihn kennengelernt hätte“
quantum ad gloriam : sc. est, restriktiv
integrae aetatis : weil man in diesem Alter im Gegensatz zur senectus noch bei annähernd vollen körperlichen und mentalen Kräften war, cf. Draeger (1891), 42; Gudemann (1900), 145 „cut off in the very prime of life, while his faculties were still unimpaired“
praedito : wenn man dem Sinn nach kein ei ergänzen möchte, so ist praedito als substantiviertes Partizip zu fassen
adstruere fortuna poterat : bei Annahmen benutzt der Lateiner bei Verben der Möglichkeit, Notwendigkeit u. A. regulär den Indikativ, der Deutsche den irrealen Konjunktiv
Filia atque uxore superstitibus : Abl. abs. (sc. eius)
videri etiam beatus … effugisse : beatus ist Prädikativum zum Subjekt („er“) des NcI; der Infinitiv effugisse hängt also von videri; im Deutschen neigen wir dazu den effugisse von beatus abhängig zu machen
incolumi dignitate, florente fama, salvis adfinitatibus et amicitiis : Ablativi modi; auch der Abl. absolutus hat ebenjene semantische Richtung
sicut … ita : konzessiv
grande solacium tulit evasisse : das Subjekt zu tulit ist der AcI (eum) evasisse
quod augurio votisque apud nostras auris ominabatur : abgesehen davon, dass diese Passage ohnehin textkritisch sehr unsicher ist, wird man augurio votisque ominabatur wohl als Zeugma auffassen müssen; denn im Grunde passt das Verb nur zu augurio; zu votis müsste man sich ein optabat denken, cf. Gudeman (1900), 146-147, oder praesumebat, cf. Plin. ep. 3,1 Hanc ego vitam voto et cogitatione praesumo
per intervalla ac spiramenta temporum : per zur Angabe einer Zeit bzw. eines Umstands, unter der bzw. dem etwas geschieht; temporum wird ἀπὸ κοινοῦ benutzt („Zeitabschnitte und Zeitpausen“)


[45]

Una adhuc victoria …censebatur : censere alqm alqa re „jmd. nach etwas schätzen“; d.h. Carus Mettius hatte bis dahin erst einen schurkischen Sieg vor Gericht errungen, nach dem er geschätzt werden konnte – es sollten dann noch weitere folgen, cf. Wex (1852), 86
Carus Mettius : einer von Domitians delatores (Denunzianten), die auf Befehl des Kaisers beliebige Personen mit Anklagen wegen vermeintlichen Hochverrats aus dem Weg räumten, cf. Peter (1876), 105-106
Messalini : ebenfalls ein Delator, agierte zunächst noch nicht öffentlich, sondern schmiedete mit Domitian geheime Pläne in dessen Villa in den Albanerbergen, cf. Wex (1852), 52
Massa Baebius : trieb als procurator von Hispania Baetica sein Unwesen und wurde auf Bitten der dortigen Einwohner von Senecio und Plinius dem Jüngeren in einem Repetundenprozess angeklagt und verurteilt, cf. Peter (1876), 107. Mit welcher Absicht Tacitus den Massa Baebius hier nennt, ist umstritten. Peter ist der Meinung, die Anklage dessen sei ein tröstendes Gegenbeispiel zu den anderen zwei Delatoren, die noch am Anfang ihrer unrühmlichen Karriere standen und deren Gefährlichkeit sich noch im Erwachsen befände: Massa Baebius, der bis dato gefährlichste Delator, sei nun aber auf der Anklagebank. Abweichend davon - weil man die Nennung von etwas Positiven in einer Kaskade des Übels für unpassend halten mag – verstehen Gudemann (1900, 149) und Wex (1852, 86) die Stelle negativ. Letzterer sagt, durch die Anklage des Massa werde der Grundstein für seinen Rachezug (gegen die Ankläger) gelegt; Ersterer, Massa sei überhaupt nicht verurteilt worden, das Verfahren also erfolglos blieb
Helvidium : ein Konsular, der unter nichtigem Vorwand getötet wurde, cf. Wex (1852), 86-87
Maurici Rusticique visus foedavit : der Sinn ist „die Tatsache, dass wir gezwungen wurden, deren ungerechte Verurteilung mitanzusehen, war eine Schande für uns“, cf. Peter (1876), 107
innocenti sanguine Senecio perfudit : cf. Kap. 2; „ebenfalls gezwungenermaßen mussten wir die Todesstrafe des Senecio ansehen, und zwar aus erster Reihe, sodass wir von seinem Blut bespritzt wurden“
suspiria nostra subscriberentur : unsere Seufzer, also die von uns Senatoren, wurden von kaiserlichen Denunziatoren [während der Bestrafungen, Peter (1876), 197] aufgezeichnet, damit man diese später als Grundlage für eine Anklage benutzen könnte –denn die Seufzer suggerierten Anteilnahme und Ablehnung bzw. eine Gesinnung, die nicht mit der kaiserlichen kongruierte
denotandis tot hominum palloribus : sc. denotandis pallore tot hominibus (Enallage); im Übrigen konstituiert Wex (1852, 87) die Stelle sogar folgendermaßen: denotandis [tot hominum] pallore oribus
quo se contra pudorem muniebat : weil Domitian durch sein rasendes Gemüt schon rot angelaufen ist, kann er nicht mehr vor Scham erröten
tamquam … donares : hypothetischer Vergleichssatz; während diese Sätze im Dt. im Irrealis stehen, richten sie sich im Lat. nach der Zeitenfolge konjunktivischer Nebensätze; der Konj. Imp. donares, zur Bezeichnung der Gleichzeitigkeit in der Vergangenheit, muss im Dt. mit dem Irrealis der Vergangenheit aufgelöst werden
pro virili portione : idiomatisch: „gemäß dem Teil eines Mannes, (den er leisten kann)“ ~ „vermöge seiner Kräfte / soweit er konnte“
Sed mihi filiaeque eius … auget maestitiam, quod adsidere valetudini, fovere deficientem, satiari vultu complexuque non contigit : der quod-Satz ist Subjekt zu auget; die Infinitive in diesem wiederum sind Subjekte zu contigit (sc. nobis)
praeter acerbitatem parentis erepti : das Partizip entspricht einem Verbalsubstantiv („dominantes Partizip“) „neben der Bitterkeit des Hinwegreißens des Vaters“
adsidere valetudini : Abstractum pro Concreto
quas … figeremus : finaler Relativsatz
Noster hic dolor : cf. Tac. Agr. 4; 7
ante quadriennium : [ = quadriennio ante]; der Sinn ist „Vier Jahre vorher, als er es gedurft hätte, damit wir all das genannte hätten tun können, ist er von uns gegangen.“ Peter (1876, 109) erklärt: „Hiermit wird der in den vorausgehenden Worten ausgedrückte besondere Schmerz, der den Tacitus und seine Gattin durch ihre Abwesenheit bei der Krankheit und dem Tode des Agricola betroffen, noch dadurch gesteigert , dass sie bis dahin 4 Jahre lang abwesend gewesen und daher den Schwiegervater und Vater gewissermassen 4 Jahre früher verloren hatten. Wo Tacitus diese 4 Jahre zubrachte, ist unbekannt, vielleicht in einer Provinz, deren Verwaltung ihm im J. 89 nach seiner im J. 88 bekleideten Prätur abertragen worden.“
superfuere honori tuo : Dat. possessivus vel finalis


[46]

manibus : v. manes, -ium „die Seelen der Verstorbenen / die Schattengeister / die Manen
quiescas … voces : optativische Konjunktive
si natura suppeditet : potentialer Konditionalsatz
colamus : Hortativ
is verus honos, ea coniunctissimi cuiusque pietas : zur Kongruenz der Pronomina cf. Tac. Agr. 4; 7; 45
intercedendum putem imaginibus : als Intransitivum bildet intercedere nur ein unerpsönliches Gerundivum; wörtlich „den Abbildern (Statuen) müsse dazwischengetreten werden“
non quia intercedendum putem : in non quia, sed (quia) oder äquivalenten Sätzen steht der Konjunktiv nach der c.t. in dem Teil mit dem nicht zutreffenden Grund
fama rerum : „die Überlieferung der Dinge, Geschehnisse, Taten“ also „die Geschichte“; Gudemann sagt in fama rerum undübersetzt „in the story of his deeds“. Es scheint hier aber eher wie Wex (1852, 89) und Peter (1876, 111) meinen, die Geschichte im Allgemeinen zu sein, denn im Nachfolgenden wird begründet, warum Agricola ein Teil der Geschichte sein wird und nicht wie so mancher, der eigentlich ein gloriosus, durch oblivio gleichsam zum ingloriosus (Ruhmlosen) und kein Teil der Geschichte geworden ist
nam multos veterum velut inglorios et ignobilis oblivio obruit: Agricola posteritati narratus et traditus superstes erit : Asyndeton adversativum



Imperator


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