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Konditionalsätze (De Senectute) |
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11 Beiträge - Freigelassener
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Ich grüße euch und habe eine kleine (vllt. auch größere) Grammatikfrage an euch.
Und zwar:
Zitat an censes, ut de me ipse aliquid more senum glorier, me tantos labores diurnos nocturnosque domi militiaeque suscepturum fuisse, si isdem finibus gloriam meam, quibus vitam essem terminaturus. |
Für mich erklärt sich dieses "suscepturum fuisse" überhaupt nicht - genausowenig das nachfolgende "essem terminaturus".
Wenn ich in Übersetzungen schaue steht werden diesen Verben dort mit "(dass) ich aufgenommen hätte" und "begrenzt hätte" übersetzt...
wie kommt man darauf?
Ich bedanke mich schonmal!
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Beitrag vom 22.03.2012 - 16:48 |
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Administrator 64 Beiträge - Legionär
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Da hast du aber was ausgegraben!
Das Problem liegt darin, dass hier ein irreales Konditionalgefüge in Abhängigkeit von einem AcI steht.
suscepturum fuisse ist ein Infinitiv Perfekt der sogenannten coniugatio periphrastica activa, der durch den AcI bedingt ist. Er verkörpert einen Irrealis der Gegenwart oder Vergangenheit -
steht also anstelle von "susciperem oder suscepissem".
Normalerweise steht dann im Folgerungssatz (also dem si-Satz) ein ganz normaler Irrealis, in diesem Fall "essem".
Das tut er ja hier auch, nur wird man durch das terminaturus ein wenig irregeleitet. Bei terminaturus handelt es sich um ein Partizip Futur Aktiv.
Ich hoffe, du kannst damit erstmal was anfangen.
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Beitrag vom 22.03.2012 - 21:53 |
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11 Beiträge - Freigelassener
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Hab ich mir schon gedacht, dass es sich hier um einen "Sonderfall der Sonderfälle" handelt^^
Du sagst, dass dieser Infinitiv, der ja aufgrund des AcI steht, einen Irrealis der Gegenwart oder Vergangenheit verkörpert.
Woran erkenne ich denn dann, was nun vorliegt? Könntest du mir vllt. noch ein anderes Beispiel zeigen?
Wie ich dieses terminaturus übersetzen soll weiß ich immer noch nicht, außerdem steht es doch im Relativsatz und nicht im Hauptsatz?!
Den Anfang von
Zitat an censes, ut de me ipse aliquid more senum glorier, me tantos labores diurnos nocturnosque domi militiaeque suscepturum fuisse [...] |
würde ich jetzt so übersetzen:
oder glaubst du, - um über mich selbst nach Art der Alten irgendetwas rühmendes zu sagen - dass ich soviele Arbeiten bei Tag und Nacht, in Krieg und Frieden auf mich genommen hätte / auf mich nehmen würde [...]
Dieser Beitrag wurde 1 mal editiert, zuletzt von Caligula am 23.03.2012 - 11:07.
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Beitrag vom 23.03.2012 - 11:06 |
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Administrator 64 Beiträge - Legionär
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Die Übersetzung ist ja schonmal super!
Woran du erkennst, ob ein Irrealis der Vergangenheit oder der Gegenwart zu verwenden ist? - nur am Kontext.
Man könnte jetzt meinen, das Tempus im si-Satz wäre ein guter Indikator (dort steht ja schließlich ein finites Verb) und nach dem Motto vorgehen "da steht ein Irrealis der Gegenwart, also muss der Infinitiv Perfekt der Coniugatio periphrastica auch einer sein". Dabei ist allerdings Vorsicht geboten, gibt es doch durchaus konditionale Perioden, in denen zwischen Irrealis der Gegenwart und Vergangenheit gewechselt wird:
"Wenn ich damals eine Million Euro gewonnen hätte, würde es mir heute gut gehen."
Soviel dazu. Du hast ja noch nach einem weiteren Beispiel gefragt:
Nehmen wir den Satz: (irreales Konditionalgefüge / Gegenwart)
Zitat Si prudens esses, id intellegeres. |
Wenn du klug wärest, verstündest du dies (würdest du dies verstehen).
Wenn wir das Konditionalgefüge jetzt in infinitivische Abhängigkeit bringen (z. B. durch AcI), geschieht folgendes:
Zitat Dico te id intellecturum fuisse, si prudens esses. |
Ich sage, dass du dies verstehen würdest, wenn du klug wärest.
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Beitrag vom 23.03.2012 - 16:01 |
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11 Beiträge - Freigelassener
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ahh okay. ich verstehe...
nur bleibt noch meine Frage, wie ich dieses terminaturus übersetzen soll, da es doch im Relativsatz und nicht im Hauptsatz steht?!
nach dem Kapitel zum PFA auf dieser Seite müsste es ja in etwa so sein:
"ich wäre einer, der begrenzen will" = "würde begrenzen wollen"
ist das so richtig?
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Beitrag vom 23.03.2012 - 17:36 |
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So Leute ich gebe mal meinen Senf dazu. Gleich vorweg: Ich hab nur Fragen und Ungereimtheiten!
Der Satz liegt weit über dem Niveau, das ich zu übersetzen im Stande wäre.
an censes, ut de me ipse aliquid more senum glorier, me tantos labores diurnos nocturnosque domi militiaeque suscepturum fuisse, si isdem finibus gloriam meam, quibus vitam essem terminaturus.
Der Anfang scheint klar:
Oder denkst du etwa, um über mich selbst in der Sitte der Alten etwas rühmendes zu sprechen,
Jetzt kommt der AcI, "ausgelöst" durch gloriari (richtig?) ich hätte jetzt intuitiv Folgedes übersetzt:
suscepturum fuisse: Um auf mich zu nehmen (PF); warum steht das jetzt mit dem Infinitiv PERFEKT von esse? Das schließt sich doch irgendwie aus, oder? PFA: Um auf mich genommen zu haben (??) da aber teil des AcIs, hätte ich das ganze konjunktivisch Übersetzt, als "Gehalt" dessen, wessen der Erzähler sich rühmt:
ich würde so große Mühen bei Tag und Nacht, bei Krieg und Frieden auf mich genommen haben,
(Wieso Krieg und Frieden? Domi und Militiae heißt für mich "zu Hause" und "Militärdienste")
Nun zum Konditionalsatz:
falls ich meinen eigenen Ruhm durch dieselben Grenzen (abl. instr.?) bestimmen werden würde/wollte? (PFA, irrealer Konjunktiv? oder irgendwie optativ, ach keine Ahnung), durch welche ich das (mein) Leben begrenzen werden würde.
Also alles reine Intuition.. Ich habe hierfür einfach geraten und in keiner Grammatik nachgeschlagen
Meine Fragen:
- was hat es mit dieser coniugatio periprastica activa genau auf sich? Wo kann man da nachschlagen?
- wie verhält es sich allgemein mit dem PFA? Was ist der Unterschied zwischen dem Partizip Futur als reines Partizip und dem Partizip Futur in Verbindung mit einer Form von esse? Dann gibt es ja so Nominalformen des Partizips: moriturus te salutant (die, welche sterben werden)
moriturus sum -> ich werde sterben oder wie?
moriturus essem -> ich würde sterben (werden) ?
und denn
moriturus esse -> sterben werden? und wenn dies dann in eine Infinitivkonstruktion eingebunden ist, wird es zur cpa?
Klammert bitte die letzten Zeilen aus, wenn ihr Verwirrung vermeiden wollt.. Ich denke nur so vor mich hin.
Dieser Beitrag wurde 2 mal editiert, zuletzt von Richy am 24.03.2012 - 13:43.
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Beitrag vom 24.03.2012 - 13:30 |
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Administrator 64 Beiträge - Legionär
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Dann wollen wir mal eine Nachtschicht einlegen, um Licht ins Dunkel zu bringen
zuerst @ Caligula
Zitat Original geschrieben von Caligula
ahh okay. ich verstehe...
nur bleibt noch meine Frage, wie ich dieses terminaturus übersetzen soll, da es doch im Relativsatz und nicht im Hauptsatz steht?!
nach dem Kapitel zum PFA auf dieser Seite müsste es ja in etwa so sein:
"ich wäre einer, der begrenzen will" = "würde begrenzen wollen"
ist das so richtig?
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Ja, so könnte man "terminaturus essem" gut übersetzen. Wie Richy in seiner Übersetzung angedeutet hat, ist das Verb des Hauptsatzes und Relativsatzes dasselbe (essem + das als Prädikatsnomen gebrauchte PFA terminaturus).
So und nun @ Richy, Schritt für Schritt.
1. zur Satzstruktur. Der AcI ist bedingt durch "censes" (glaubst du, dass?)... den ganzen ut-satz kannst du einfach als Parenthese (Einschub) auffassen, dem nichts weiter untergeordnet ist.
2. zu suscepturum fuisse nochmal die Posts zuvor lesen. Man kann nicht einfach alles im Lateinischen 1 zu 1 ins Deutsche wörtlich übersetzen. Latein ist nunmal eine andere Sprache, die ihre Eigenheiten und besonderen Phänomene hat.
3. domi militaeque : dabei handelt es sich um eine feste Wendung. Um es genauer aufzuschlüsseln: Beides sind Lokative = zu Hause und im Kriegsdient ~ in Krieg und Frieden. "militiae" ist nicht Nom., nicht Gen. und nicht Dativ! Sondern die feminine Lokativendung. Dazu könntest du dich hier schlau machen: Lokativ
4. Die ganze konditionale Periode befindet sich im Modus des Irrealis! Also auch die Protasis (der si-Satz).
5. zur coniugatio periphrastica (umschreibende Konjugation) findet man in größeren Grammatiken, wie dem Menge, Ausführliches, im Rubenbauer eine knappe Abhandlung. Unter ihr sind quasi alle Formen aufgefasst, die irgendwelche anderen Formen, die es so im Lateinischen nicht gibt, zu umschreiben.
In unserem Fall würde ein "irrealer Infinitiv" durch den AcI gefordert werden, da das von dem AcI abhängende Konditionalgefüge ja ein irreales sein soll. So einen Infinitiv gibt es weder im Deutschen, noch im Lateinischen. Daher dieses "suscepturum fuisse".
[ich müsste hier 2 DIN-A4 Seiten schreiben, um das ganze exakt aufzuschlüsseln...]
6. Zu den Unterschieden zwischen "reinem" PFA und PFA mit esse: Am besten diese Kapitel lesen.
Es ist die Frage, ob ein substantiviertes Partizip (wie bei "morituri te salutant"), ein PC oder ein Partizip als Prädikatsnomen vorliegt.
Zu letzterem: Kopulative Verben wie "esse" benötigen eine weitere Information, um zu einem vollständigen Verb zu werden (sum... ich bin...) // ja was bin ich denn? // z. B. "bonus".
Anstelle von "bonus" kann dann auch ein Partizip stehen, womit es syntaktisch als Prädikatsnomen verwendet wird.
moriturus sum : ich BIN ein sterben werdender = (besser) ich bin im Begriff zu sterben
Genau so etwas liegt ja auch mit "terminaturus essem" vor. Nur eben, dass "esse" nicht im Indikativ Präsens, sondern im Konj. Imperfekt steht, der einen Irrealis verkörpern kann und es hier muss!
terminaturus essem : ich WÄRE ein begrenzen werdender = ich wäre im Begriff zu begrenzen ~ ich würde begrenzen wollen
Um das alles einigermaßen zu verstehen, ist ein solides Basiswissen erforderlich. Denn hier handelt es sich wahrhaftig nicht um Themen, die zum Schulalltag, sondern vielmehr in die Uni gehören...
Dieser Beitrag wurde 1 mal editiert, zuletzt von Imperator am 25.03.2012 - 02:17.
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Beitrag vom 25.03.2012 - 02:17 |
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11 Beiträge - Freigelassener
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Dann lag ich ja gar nicht sooo verkehrt^^
Wir haben da übrigens heute in der Schule drüber gesprochen. Naja: Im Endeffekt hat es dann unser Lehrer für uns übersetzt (war ungefähr so - wie hier besprochen) und meinte, dass er das wohl übersehen hätte und uns sonst niemals zum Übersetzen aufgegeben hätte
na toll -.-
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Beitrag vom 26.03.2012 - 16:35 |
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