Übersetzungen - Vegetius
Vegetius - Liber I - Deutsche Übersetzung
02.01.2015 - 11:46

Liber I - Electio iuniorum



[2] Regionale Herkunft des Rekruten
[3] Rekrut vom Land oder aus der Stadt
[4] Alter eines Rekruten
[5] Körpergröße eines Rekruten
[4] Körperliche Merkmale eines Rekrute



2. Regionale Herkunft des Rekruten


[2] Rerum ordo deposcit, ut, ex quibus prouinciis vel nationibus tirones legendi sint, prima parte tractetur. Constat quidem in omnibus locis et ignauos et strenuos nasci. Sed tamen et gens gentem praecedit in bello et plaga caeli ad robur non tantum corporum sed etiam animorum plurimum valet; quo loco ea, quae a doctissimis hominibus conprobata sunt, non omittamus. Omnes nationes, quae vicinae sunt soli, nimio calore siccatas, amplius quidem sapere, sed minus habere sanguinis dicunt ac propterea constantiam ac fiduciam comminus non habere pugnandi, quia metuunt vulnera qui exiguum sanguinem se habere noverunt. Contra septentrionales populi, remoti a solis ardoribus, inconsultiores quidem, sed tamen largo sanguine redundantes, sunt ad bella promptissimi. Tirones igitur de temperatioribus legendi sunt plagis, quibus et copia sanguinis suppetat ad vulnerum mortisque contemptum et non possit deesse prudentia, quae et modestiam servat in castris et non parum prodest in dimicatione consiliis.


[2] Die Reihenfolge der Angelegenheiten macht es erforderlich, dass im ersten Teil erörtert wird, aus welchen Provinzen oder Völkern man Rekruten auszuheben hat. Zwar steht fest, dass es allerorten sowohl Untüchtige als auch Tüchtige gibt, aber dennoch übertrifft ein Volk ein anderes im Krieg und die Klimazone wirkt sich nicht nur sehr stark auf körperliche, sondern auch auf geistige Kräfte aus. Lasst uns an dieser Stelle nicht das auslassen, was unlängst von den gelehrtesten Männern bestätigt worden ist. Sie sagen, alle Völker, die der Sonne nahe sind, seien durch allzu große Hitze ausgetrocknet, zwar schlauer, aber sie hätten weniger Blut und deswegen hätten sie weder Ausdauer noch Selbstvertrauen im Nahkampf, weil sie, die von ihrem knappen Blut wissen, Wunden fürchten. Dagegen sind die Nordvölker, weit von den Sonnenstrahlen entfernt, zwar unbedachter, dafür aber wegen ihres Blutüberflusses äußerst kampfesmutig. Rekruten sind folglich aus gemäßigteren Zonen auszuheben, damit ihnen einerseits genug Blut zur Verfügung steht, um Wunden und Tod nicht achten zu müssen, andererseits Klugheit nicht fehlen kann, die im Lager ein gesittetes Benehmen bewahrt und im Kampf durch Einsicht einiges nützt.



3. Rekrut vom Land oder aus der Stadt


[3] Sequitur, ut, utrum de agris an de urbibus utilior tiro sit, requiramus. De qua parte numquam credo potuisse dubitari aptiorem armis rusticam plebem, quae sub divo et in labore nutritur, solis patiens, umbrae neglegens, balnearum nescia, deliciarum ignara, simplicis animi, parvo contenta, duratis ad omnem laborum tolerantiam membris, cui gestare ferrum, fossam ducere, onus ferre consuetudo de rure est. Interdum tamen necessitas exigit etiam urbanos ad arma conpelli, qui, ubi nomen dedere militiae, primum laborare, decurrere, portare pondus et solem pulveremque ferre condiscant, parco victu utantur et rustico, interdum sub divo interdum sub papilionibus commerentur. Tunc demum ad usum erudiantur armorum, et, si longior expeditio emergit, in agrariis plurimum detinendi sunt proculque habendi a civitatis inlecebris, ut eo modo et corporibus eorum robur accedat et animis. Nec infitiandum est post urbem conditam Romanos ex civitate profectos semper ad bellum; sed tunc nullis deliciis frangebantur, (sudorem cursu et campestri exercitio collectum iuventus natans abluebat in Tiberi) idem bellator, idem agricola, genera tantum mutabat armorum; quod usque adeo verum est, ut aranti Quinctio Cincinnato dictaturam constet oblatam. Ex agris ergo subplendum robur praecipue videtur exercitus; nescio quomodo enim minus mortem timet, qui minus deliciarum novit in vita.


[3] Lasst uns im Folgenden untersuchen, ob ein Rekrut vom Lande oder aus der Stadt geeigneter ist. Ich glaube, man hat nie daran zweifeln können, dass das Landvolk, welches unter freiem Himmel und in Arbeitsamkeit lebt, mehr für den Waffendienst taugt: fähig die Sonne zu erdulden, des Schattens nicht bedürfend, von Bädern nichts wissend, mit Annehmlichkeiten unbekannt, von schlichtem Gemüt, mit wenig zufrieden, abgehärtete Glieder, um jede Arbeit zu ertragen; diesem Volk ist es vom Felde her Gewohnheit, Eisen herumzutragen, Gräben auszuheben und Lasten zu tragen. Dennoch wird es bisweilen nötig sein, auch Stadtmenschen für den Kriegsdienst zu bestimmen. Diese müssen, sowie sie in den Kriegsdient getreten sind, zunächst lernen, sich abzumühen, zu defilieren, Last zu befördern und Hitze und Staub zu ertragen. Sie sollen sparsam und einfach leben, bald unter freiem Himmel, bald im Zelt ihren Dienst erledigen. Dann erst sollen sie im Umgang mit Waffen geschult werden. Und wenn einmal eine längere Expedition bevorsteht, sind sie zumeist in ländlichen Gebieten zu stationieren und von den Verlockungen der Stadt fernzuhalten, damit auf diese Weise Körper und Geist gestählt werden. Unleugbar ist es, dass in frühester Zeit die Römer immer aus der Stadt in den Krieg gezogen sind; damals aber wurden sie noch nicht durch Lust und Luxus verweichlicht, (den durch Marsch und Leibesübung erworbenen Schweiß spülte die Jugend durch Schwimmen im Tiber ab) Krieger und Bauer waren ein und derselbe, nur die Waffengattungen wechselte er; das ging wahrhaft so weit, dass bekanntlich dem Quinctius Cincinnatus beim Pflügen das Amt der Diktatur übertragen wurde. Vom Land her so scheint es, sind daher die Kerntruppen des Heeres zu ergänzen; denn irgendwie fürchtet der den Tod weniger, der im Leben weniger Vergnügen kennengelernt hat.


4. Alter eines Rekruten


[4] Nunc, qua aetate milites legi conveniat, exploremus. Et quidem, si antiqua consuetudo servanda est, incipientem pubertatem ad dilectum cogendam nullus ignorat; non enim tantum celerius sed etiam perfectius inbuuntur, quae discuntur a pueris. Deinde militaris alacritas, saltus et cursus ante temptandus est, quam corpus aetate pigrescat. Velocitas enim est, quae percepto exercitio strenuum efficit bellatorem. Adulescentes legendi sunt, sicut ait Sallustius 'Iam simul ac iuventus belli patiens erat, in castris per laborem usum militiae discebat.' Melius enim est, ut exercitatus iuvenis causetur aetatem nondum advenisse pugnandi, quam doleat praeterisse. Habeat etiam spatium universa discendi. Neque enim parva aut levis ars videatur armorum, sive equitem sive peditem sagittarium velis inbuere sive scutatum: armaturae numeros omnes omnesque gestus docere, ne locum deserat, ne ordines turbet, ut missile et destinato ictu et magnis viribus iaciat, ut fossam ducere, sudes scienter figere noverit, tractare scutum et obliquis ictibus venientia tela deflectere, plagam prudenter vitare, audacter inferre. Huic taliter insituto tironi pugnare adversum quoslibet hostes in acie formido non erit, sed voluptas.



[4] Jetzt wollen wir erörtern, in welchem Alter Soldaten auszuheben sind. Wenn die alte Sitte zu bewahren ist, so weiß freilich jeder, dass die beginnende Jugend zur Aushebung herangezogen werden muss; denn nicht nur schneller, sondern auch vollkommener wird beigebracht, was von klein auf gelernt wird. Ferner sind Begeisterung für das Militärische, Sprung und Lauf zu üben, bevor der Körper durch das Alter träge wird. Schnelligkeit ist nämlich das, was einen tatkräftigen Krieger nach Abschluss der Ausbildung ausmacht. Junge Männer sind zu rekrutieren, wie Sallust sagt: „Sobald die Jugend kriegsfähig gewesen war, lernte sie in Lagern durch Arbeit die Praxis des Kriegsdienstes.” Besser ist es nämlich, wenn sich der geübte Jüngling beschwert, dass die Zeit zum Kampf noch nicht gekommen ist, als dass er sich über ihr Ende beschwert. Er soll Zeit haben, Allgemeines zu erlernen. Nicht geringfügig oder leicht soll die Waffenkunst scheinen, ob du nun einen Reiter oder einen Fußsoldaten mit Bogen oder Schild ausbilden willst: ihnen alle Bewegungsabläufe und Haltungen ihrer Waffengattung beizubringen, dass keiner seinen Platz verlässt, dass er die Ordnung nicht auflöst, dass er sein Geschoss sowohl präzise als auch kraftvoll abfeuert, dass er weiß, einen Graben auszuheben und Pfähle sachkundig einzurammen, seinen Schild handzuhaben und kommende Geschosse mit schrägen Hieben abzuwehren, Schlägen klug auszuweichen, kühn zuzustoßen. Ein auf solche Weise ausgebildeter Rekrut wird in einer Schlacht gegen beliebige Feinde keine Furcht, sondern Vergnügen haben.


5. Körpergröße eines Rekruten


[5] Proceritatem tironum ad incommam scio semper exactam, ita ut VI pedum vel certe V et X unciarum inter alares equites vel in primis legionum cohortibus probarentur. Sed tunc erat amplior multitudo, et plures militiam sequebantur armatam; necdum enim civilis pars florentiorem abducebat iuventutem. Si ergo necessitas exigit, non tam staturae rationem conuenit habere quam virium. Et ipso Homero teste non fallimur, qui Tydeum minorem quidem corpore, sed fortiorem armis fuisse significat.



[5] Ich weiß, dass man seit je her die Körpergröße der Rekruten auf das Rekrutenmaß überprüft hat, sodass man bei den Flügelreitern und den ersten Kohorten der Legionen sechs Fuß oder mindestens fünf Fuß und zehn Zoll gutheißt. Aber damals war eine größere Auswahl verfügbar, und mehr Menschen folgten dem bewaffneten Kriegsdienst; der zivile Bereich zog nämlich noch nicht die blühende Jugend an sich. Wenn also der Drang der Umstände es fordert, dann muss weniger auf die Körpergröße als auf die Kraft geachtet werden. Und auch wenn wir Homer als Zeugen nehmen, täuschen wir uns nicht, weil der ja verlautbart, Tydeus sei zwar von kleinerem Wuchse, aber tapferer im Umgang mit Waffen mit gewesen.



6. Körperliche Merkmale eines Rekruten


[6] Sed qui dilectum acturus est, vehementer intendat, ut ex vultu, ex oculis, ex omni conformatione membrorum eos eligat, qui implere valeant bellatores. Namque non tantum in hominibus, sed etiam in equis et canibus virtus multis declaratur indiciis, sicut doctissimorum hominum disciplina conprehendit; quod etiam in apibus Mantuanus auctor dicit esse seruandum:

'Nam duo sunt genera, hic melior, insignis et ore
Et rutilis clarus squamis, ille horridus alter
Desidia latamque trahens inglorius alvum.'

Sit ergo adulescens Martio operi deputandus vigilantibus oculis, erecta cervice, lato pectore, umeris musculosis, valentibus brachiis, digitis longioribus, ventre modicus, exilior clunibus, suris et pedibus non superflua carne distentis sed neruorum duritia collectis. Cum haec in tirone signa deprehenderis, proceritatem non magno opere desideres. Utilius est enim fortes milites esse quam grandes.




[6] Aber wer eine Aushebung durchführen will, möge sich tüchtig anstrengen, nach Miene, Augen und der Gestalt der Gliedmaßen diejenigen auszuwählen, die imstande sind, die Anforderungen an einen Krieger zu erfüllen. Denn nicht nur bei Menschen, sondern auch bei Pferden und Hunden wird die Leistungsfähigkeit durch viele Anzeichen offenbart, wie es die Lehre sehr gebildeter Männer beschreibt; dass dies auch bei Bienen zu beobachten sei, verkündet ein Gewährsmann aus Mantua:

„Denn zwei Arten gibt es, die eine ist besser, hervorstechend durch ihr Aussehen und schön durch rötliche Schuppen, jene andere starrt
vor Faulheit und zieht unrühmlich ihren breiten Wanst mit sich.”

Also soll der Jüngling, der zum Marsdienst zu bestimmen ist, wachsame Augen, einen aufrechten Nacken, eine breite Brust, muskulöse Schultern, kräftige Arme, lange Finger, einen mäßigen Bauch, ein schmächtiges Gesäß, sowie Waden und Füße haben, die nicht durch überflüssiges Fett angefüllt, sondern durch die Härte von Sehnen zusammengezogen sind. Wenn du diese Kennzeichen bei deinem Rekruten festgestellt hast, dann sollst du einen hohen Wuchs nicht sehr vermissen. Es ist nämlich besser, kräftige als große Soldaten zu haben.



Anmerkungen und Hilfen



[2]

quidem (…) sed tamen : Vegetius liebt die Gegenüberstellung mit quidem - sed
amplius (…) sapere : Periphrase für sapientiores
largo sanguine redundantes : schon bei Cicero findet sich redundare + Abl. in der Bedeutung „im Überflüss verfügen über“, Cic. Pis. 25 nam haec (sc. Capua) … splendidissimorum hominum, fortissimorum virorum, optimorum civium mihique amicissimorum multitudine redundat.
Tirones igitur de temperatioribus legendi sunt plagis, quibus : entweder man zieht quibus (als instrumentalen oder lokalen Ablativ) auf plagis oder (als Dativ) auf tirones ; der RS ist wohl final gefärbt
ad (…) contemptum : ist Verbalsubstantiv und gleichbedeutend mit einer Gerundialkonstruktion


[3]

solis patiens, umbrae neglegens, balnearum nescia, deliciarum ignara : all diese Adjektive bzw. Partizipialadjektive stehen mit objektivem Genitiv
simplicis animi : Abl. qual.
necessitas exigit : leitet einen AcI ein
qui (…) condiscant (…) : finaler Relativsatz


[4]

incipientem pubertatem : abstractum pro concreto
docere : Subjekt, sc. parva aut levis ars videatur
noverit : hier mit Infinitiven und nicht mit indirekten Fragesätzen


[5]

proceritatem tironum ad incommam (...) exactam : exigere + Akk + ad heißt „etwas bemessen nach / prüfen auf”
staturae rationem (...) habere : rationem alicuius rei habere bedeutet „Rücksicht auf etwas nehmen”


[6]

sit ergo adulescens (...) vigilantibus oculis, erecta cervice, lato pectore, umeris musculosis, valentibus brachiis, digitis longioribus, ventre modicus, exilior clunibu : die Ablative sind bis auf ventre und clunibus prädikative Ablativi qualitatis zu sit; modicus und exilior stellen Prädikatsnomina zum selben Verb dar; deren zugehörige Ablative sind limitativ





Imperator


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