Übersetzungen - Plinius |
Plinius - Epistulae I (9, 10) |
26.06.2012 - 19:06 |
1, 9 C. PLINIUS MINICIO FUNDANO SUO S.
(1) Mirum est, quam singulis diebus in urbe ratio aut constet aut constare videatur, pluribus iunctisque non constet. (2) Nam si quem interroges 'Hodie quid egisti?', respondeat: 'Officio togae virilis interfui, sponsalia aut nuptias frequentavi, ille me ad signandum testamentum, ille in advocationem, ille in consilium rogavit.' (3) Haec, quo die feceris, necessaria, eadem, si cotidie fecisse te reputes, inania videntur, multo magis, cum secesseris. Tunc enim subit recordatio: 'Quot dies quam frigidis rebus absumpsi!'
(4) Quod evenit mihi, postquam in Laurentino meo aut lego aliquid aut scribo aut etiam corpori vaco, cuius fulturis animus sustinetur. (5) Nihil audio quod audisse, nihil dico quod dixisse paeniteat; nemo apud me quemquam sinistris sermonibus carpit, neminem ipse reprehendo, nisi tamen me cum parum commode scribo; nulla spe nullo timore sollicitor, nullis rumoribus inquietor: mecum tantum et cum libellis loquor. (6) O rectam sinceramque vitam! O dulce otium honestumque ac paene omni negotio pulchrius! O mare, o litus, verum secretumque 'μουσείον ', quam multa invenitis, quam multa dictatis! (7) Proinde tu quoque strepitum istum inanemque discursum et multum ineptos labores, ut primum fuerit occasio, relinque teque studiis vel otio trade. (8) Satius est enim - ut Atilius noster eruditissime simul et facetissime dixit - otiosum esse quam nihil agere. Vale.
| Plinius grüßt seinen Minicius Fundanus
(1) Es ist erstaunlich, wie für einzelne Tage die Rechnung in der Stadt entweder stimmt oder zu stimmen scheint, für mehrere aneinandergereihte Tage aber nicht. (2) Wenn du nämlich irgendwen fragen solltest „Was hast du heute getan?“, würde er wohl antworten: „Ich nahm an einer Männer-Toga-Zeremonie teil, besuchte eine Verlobung oder eine Hochzeit, jener bat mich um eine Testamentsbesiegelung, jener um Beistand vor Gericht, jener um Rat.“ (3) Diese Dinge scheinen an dem Tag, an dem man sie gemacht hat, notwendig, dieselben aber scheinen, wenn du überdenkst, dass du sie täglich gemacht hast, unnütz, weit mehr unnütz, wenn du dich aufs Land zurückgezogen hast. Dann nämlich drängt sich einem die Erinnerung auf: „Wie viele Tage habe ich doch mit wie trivialen Dingen verbracht!
(4) Dies widerfährt auch mir, seitdem ich in meinem Laurentinum entweder irgendetwas lese oder schreibe oder auch Muße für meinen Körper habe, durch dessen Stärkung mein Geist gestützt wird. (5) Ich höre nichts, was ich gehört zu haben, ich sage nichts, was ich gesagt zu haben bereue; niemand reißt vor mir irgendwen durch üble Äußerungen herunter, ich selbst tadle niemanden, außer doch mich selbst, wenn ich nicht angemessen genug schreibe. (6) O welch tugendhaftes und aufrichtiges Leben! O welche süße und ehrenhafte und beinahe als jede Beschäftigung schönere Muße! O welch ein Meer, o welche ein Strand, wahrer und heimlicher Musensitz, wie viel ihr erfunden, wie viel ihr vorgesagt habt! (7) Daher lass auch du diesen Lärm und dieses unnütze Hin- und Herrennen und diese völlig unschicklichen Strapazen zurück, sobald sich die Gelegenheit ergeben hat, und widme dich dem Studium oder der Muße. (8) Es ist nämlich dienlicher – wie unser Atilius äußerst gebildet und elegant zugleich gesagt hat – müßig zu sein als nichts zu machen. Mach’s gut.
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Hilfen und Anmerkungen zur Übersetzung:
(1)
diebus singulis […] pluris iunctisque. : Dativus commodi (respectus), ggf. auch Ablativus temporis.
(2)
rogavit : hier, eher unüblich, mit ad und in zur Angabe, worum gebeten wird.
(3)
feceris, […] reputes, [..] secesseris : allesamt im generalisierenden Konjunktiv der zweiten Person.
(4)
quod mihi evenit : Von der zuvorigen Verallgemeinerung schließt Plinius jetzt auf sich; quod als relativischer Anschluss.
postquam : mit Präsens „seitdem“ um die Gleichzeitigkeit zweier Handlungen auszudrücken.
(5)
quod […], quod […] paeniteat : konsekutive Relativsätze (ich sage nichts von der Art, dass); Konstruktion von paenitet, siehe Genitiv bei Verben, Punkt zwei. Anstelle des Genitivs steht hier ein Subjektsinfinitiv. In der deutschen Übersetzung bleibt von der lateinischen Eigentümlichkeit nicht mehr viel übrig.
(6)
μουσείον : das zu museum latinisiert wurde; der Sitz der Musen, der Göttinnen der Künste.
(7)
ut primum : dazu das Kapitel Temporalsätze konsultieren.
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1, 10 C. PLINIUS ATTIO CLEMENTI SUO S.
(1) Si quando urbs nostra liberalibus studiis floruit, nunc maxime floret. (2) Multa claraque exempla sunt; sufficeret unum, Euphrates philosophus. Hunc ego in Syria, cum adulescentulus militarem, penitus et domi inspexi, amarique ab eo laboravi, etsi non erat laborandum. Est enim obvius et expositus, plenusque humanitate, quam praecipit. (3) Atque utinam sic ipse, quam spem tunc ille de me concepit, impleverim, ut ille multum virtutibus suis addidit! Aut ego nunc illas magis mirror, quia magis intellego? (4) Quamquam ne nunc quidem satis intellego; ut enim de picture, scalptore, fictore nisi artifex iudicare, ita nisi sapiens non potest perspicere sapientem.
(5) Quantum tamen mihi cernere datur, multa in Euphrate sic eminent et elucent, ut mediocriter quoque doctos advertant et afficiant. Disputat subtiliter graviter ornate, frequenter etiam Platonicam illam sublimitatem et latitudinem effingit. Sermo est copiosus et varius, dulcis in primis, et, qui repugnantes quoque ducat impellat. (6) Ad hoc proceritas corporis, decora facies, demissus capillus, ingens et cana barba; quae licet fortuita et inania putentur, illi tamen plurimum venerationis acquirunt. (7) Nullus horror in cultu, nulla tristitia, multum severitatis; reverearis occursum, non reformides. Vitae sanctitas summa; comitas par: insectatur vitia, non homines, nec castigat errantes, sed emendat. Sequaris monentem attentus et pendens, et persuaderi tibi, etiam cum persuaserit, cupias. (8) Iam vero liberi tres, duo mares, quos diligentissime instituit. Socer Pompeius Iulianus cum cetera vita tum vel hoc uno magnus et clarus, quod ipse provinciae princeps inter altissimas condiciones generum non honoribus principem, sed sapientia elegit.
(9) Quamquam quid ego plura de viro, quo mihi frui non licet? An, ut magis angar, quod non licet? Nam distringor officio, ut maximo, sic molestissimo: sedeo pro tribunali, subnoto libellos, conficio tabulas, scribo plurimas, sed illitteratissimas litteras. (10) Soleo non numquam - nam id ipsum quando contingit! - de his occupationibus apud Euphraten queri. Ille me consolatur, affirmat etiam esse hanc philosophiae et quidem pulcherrimam partem, agere negotium publicum, cognoscere, iudicare, promere et exercere iustitiam, quaeque ipsi doceant in usu habere. (11) Mihi tamen hoc unum non persuadet satius esse ista facere quam cum illo dies totos audiendo discendoque consumere. Quo magis te, cui vacat, hortor, cum in urbem proxime veneris - venias autem ob hoc maturius -, illi te expoliendum limandumque permittas. (12) Neque enim ego - ut multi - invideo aliis bono, quo ipse careo, sed contra: sensum quendam voluptatemque percipio, si ea, quae mihi denegantur, amicis video superesse. Vale.
| Plinius grüßt seinen Attius Clemens
(1) Wenn jemals unsere Stadt vor edlen Wissenschaften blühte, dann besonders jetzt. (2) Es gibt viele berühmte Beispiele; eines mag wohl genügen, der Philosoph Euphrates. Diesen lernte ich, während ich als sehr junger Mann meinen Militärdienst ableistete, bis aufs Innerste und in seinem Hause kennen, und gab mir Mühe von ihm gemocht zu werden, auch wenn ich mich nicht bemühen musste. Er ist nämlich zuvorkommend und leutselig, und voll von Freundlichkeit, die er lehrt. (3) Hoffentlich habe ich selbst die Hoffnung, die jener damals auf mich setzte, in der Art erfüllt, wie jener seinen Tugenden viel hinzugefügt hat! Oder bewundere ich jene nun mehr, weil ich sie besser verstehe? (4) Gleichwohl begreife ich sie nicht einmal jetzt genug; wie nämlich nur ein Künstler über einen Malern, einen Holzschneider und einen Bildhauer urteilen kann, so kann nur ein Weiser einen Weisen verstehen.
(5) Doch so weit ich beurteilen kann, ragen und leuchten bei Euphrat so viele Eigenschaften hervor, dass sie auch die Aufmerksamkeit mittelmäßig Gebildeter auf sich ziehen und sie beeindrucken. Er erörtert scharfsinnig, eindrucks- und geschmackvoll, häufig erreicht er auch jene platonische Erhabenheit und Ausdrucksfülle. Seine Rede ist ausführlich und mannigfaltig, besonders angenehm, und ist von solcher Beschaffenheit, dass sogar Widersprechende an sich zieht und mit sich reißt. (6) Dazu kommt der hohe Wuchs seines Körpers, ein anmutiges Äußeres, herabhängendes Haar und ein gewaltiger weißer Bart; diese Dinge kann man für zufällig und unbedeutend halten, doch jene verschaffen ihm den Großteil seiner Verehrung. (7) Kein Entsetzen was seine Körperpflege betrifft, keine Finsterkeit, viel Strenge; man hat Ehrfurcht vor der Begegnung mit ihm, scheut nicht davor zurück. Höchste Ehrwürdigkeit des Lebens; dieser entsprechend seine Freundlichkeit. Er verfolgt Laster, nicht Menschen, auch tadelt er die Irrenden nicht, sondern verbessert sie. Man folgt ihm aufmerksam und gespannt, wenn er mahnt, und wünscht, überzeugt zu werden, auch wenn er einen schon überzeugt hat. (8) Er hat sogar schon drei Kinder, zwei Knaben, die er äußerst sorgfältig erzogen hat. Sein Schwiegervater Pompeius Iulianus ist sowohl durch sein übriges Leben angesehen und berühmt als auch ganz besonders dadurch, dass er nämlich - selbst als erster Mann seiner Provinz – unter glänzendsten Anträgen nicht den an Ehren, sondern den an Weisheit Vorzüglichsten zum Schwiegersohn wählte.
(9) Doch was soll ich weiter über einen Mann reden, den zu genießen mir nicht vergönnt ist? Etwa, um noch beunruhigter darüber zu werden, dass es mir nicht vergönnt ist? Ich werde von einer, zwar äußerst wichtigen, doch äußerst lästigen Aufgabe in Anspruch genommen: Ich sitze vor dem Tribunal, unterzeichne Gesuche, fertige Rechnungsbücher aus, schreibe sehr viele, aber höchst unlehrsame Briefe. (10) Manchmal – denn wann trifft selbst dies mal ein! – pflege ich mich bei Euphrat über diese Beschäftigungen zu beschweren. Jener tröstet mich, versichert, dass auch dies ein Teil der Philosophie sei und zwar ein sehr schöner: öffentliche Geschäfte zu verrichten, zu untersuchen, zu richten, Gerechtigkeit hervorzubringen und anzuwenden, und im Gebrauch zu haben, was sie selbst lehren. (11) Doch in dieser einen Sache überredet er mich nicht, dass es dienlicher sei, diese Dinge zu verrichten als mit ihm zusammen ganze Tage mit Zuhören und Lernen zu verbringen. Umso mehr fordere ich dich, der du Muße hast, auf, dich jenem, wenn du demnächst in die Stadt kommst – deswegen aber komme früher! – zur Verfeinerung und zum letzten Schliff zu verantworten. (12) Denn ich beneide andere nicht – wie es viele tun – um ein Gut, was ich selbst nicht habe, sondern im Gegenteil: Ich empfinde ein gewisses Gefühl und Vergnügen, wenn ich meine Freunde darüber verfügen sehe, was mir gänzlich versagt wird. Mach’s gut.
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Hilfen und Anmerkungen zur Übersetzung:
(1)
si quando : indefinit (aliquando)
liberalibus studiis : Ablativus causae); damit sind jene Wissenschaften gemeint, die sich für einen freien Römer gehören / um die sich ein freier Römer bemühen sollte.
(3)
atque utinam […] impleverit : coniunctivus optativus der Vergangenheit; atque findet sich öfters bei der Einleitung eines Wunsches und bleibt zumeist unübersetzt.
quam spem : das Bezugswort des Relativsatzes ist mit in diesen hineingerutscht.
(5)
quantum mihi cernere datur : quantum bzw. der gesamte Satz ist restriktiv zu verstehen „so weit, inwieweit“, mihi datur „mir ist erlaubt, vergönnt ( = ich darf / kann), cernere ist dazu der Subjektsinfinitiv.
et, qui repugnantes quoque ducat impellat.
qui repugnantes quoque ducat impellat. : konsekutiver Relativsatz (sermo talis est, qui …)
(7)
Sequaris […] persuaderi tibi […] cupias. : generalisierende Konjunktive
(8)
gener : generi, m. „Schwiegersohn“
honoribus principem, sed sapientia : Ablativi limitationis (nicht den Ersten in Bezug auf Ehren / Ehrenämter / ehrenvollen Stellen, sondern in Bezug auf Weisheit)
(9)
frui : mit Ablativ als wäre es ein Objekt
(10)
et quidem : erklärend zu verstehen
(11)
audiendo discendoque : Ablativus modi (ggf. auch instrumenti)
cum in urbem proxime veneris : der Konjunktiv Perfekt ersetzt hier das Futur II.
te expoliendum limandumque permittas : Gerundivum („dich als zu verfeinernden und zu schleifenden“); se permittere „sich anvertrauen“.
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Imperator |
gedruckt am 22.11.2024 - 02:47 |
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