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Tacitus - Germania - Kapitel XXXVIII - XLVI : Stämme des Ostens - Deutsche Übersetzung |
29.03.2012 - 15:14 |
| Kapitel XXXVIII - XLVI : Stämme des Ostens | | |
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38. Haartracht der Sueben |
[38] Nunc de Suebis dicendum est, quorum non una, ut Chattorum Tencterorumve, gens; maiorem enim Germaniae partem obtinent, propriis adhuc nationibus nominibusque discreti, quamquam in commune Suebi vocentur. Insigne gentis obliquare crinem nodoque substringere: sic Suebi a ceteris Germanis, sic Sueborum ingenui a servis separantur. In aliis gentibus seu cognatione aliqua Sueborum seu, quod saepe accidit, imitatione, rarum et intra iuventae spatium; apud Suebos usque ad canitiem <fortissimi> horrentem capillum retro sequuntur <pectunt> ac saepe in ipso vertice religant; principes et ornatiorem habent. Ea cura formae, sed innoxia; neque enim, ut ament amenturve, <sed> in altitudinem quandam et terrorem adituri bella compti ut hostium oculis ornantur.
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[38] Jetzt ist über die Sueben zu sprechen, von denen es nicht nur einen Stamm gibt, wie von den Chatten und Tenkterern; sie halten nämlich einen größeren Teil Germanies inne, noch in individuelle Stämme und Namen geschieden, obgleich sie im allgemeinen Sueben genannt werden. Kennzeichen des Volkes ist es, dass sie ihr Haar seitwärts fallen lassen und mit einem Knoten unten zusammenbinden: so werden die Sueben von anderen Germanen, so die Eingeborenen der Sueben von ihren Sklaven getrennt. Bei anderen Völkerschaften, sei es aufgrund irgendeiner Verwandschaft mit den Sueben oder, was öfter der Fall ist, aus Nachahmung, ist es selten und innerhalb der Jugendzeit; bei den Sueben kämmen die Tapfersten bis zum Ergrauen ihr struppiges Haar zurück und oft binden sie es unmittelbar auf dem Scheitel auf; die ersten Männer haben sogar noch geschmückteres Haar. Dies ist ihr Interesse an Wohlgestalt, aber ein harmloses; denn nicht, um zu lieben oder geliebt zu werden, sondern zwecks einer gewissen Größe und eines einschüchternden Eindrucks schmücken sie sich, wenn sie Kriege führen wollen, geziert für die Augen der Feinde.
| 39. Elbgermanische Stämme I : Semnonen und ihr heiliger Hain |
[39] Vetustissimos se nobilissimosque Sueborum Semnones memorant; fides antiquitatis religione firmatur. Stato tempore in silvam auguriis patrum et prisca formidine sacram omnes eiusdem sanguinis populi legationibus coeunt caesoque publice homine celebrant barbari ritus horrenda primordia. Est et alia luco reverentia: nemo nisi vinculo ligatus ingreditur, ut minor et potestatem numinis prae se ferens. Si forte prolapsus est, attolli et insurgere haud licitum: per humum evolvuntur. Eoque omnis superstitio respicit, tamquam inde initia gentis, ibi regnator omnium deus, cetera subiecta atque parentia. Adicit auctoritatem fortuna Semnonum: centum pagi iis habitantur magnoque corpore efficitur, ut se Sueborum caput credant.
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[39] Die Semnonen erzählen, sie seien die ältesten und angesehensten der Sueben; der Glaube an ihr langjähriges Bestehen wird durch einen Kult bekräftigt: Zu einem festgelegten Zeitpunkt kommen alle Völker desselben Blutes durch Gesandschaften in einem Wald, geheiligt durch Augurien der Väter und alte Gottesfurcht, zusammen und feiern, nachdem sie öffentlich einen Menschen hingeschlachtet haben, die schauderhaften Uranfänge ihres barbarischen Ritus. Dem Hain ist überdies noch eine andere Ehrerbietung: nur gefesselt betritt man ihn, wie ein Unterwürfiger und die Macht der Gottheit offen zeigend. Falls zufällig einer hingefallen ist, so ist sich aufhelfen zu lassen und aufzustehen unerlaubt: man wälzt sich über den Boden. Und all der Wahnglaube geht darauf zurück, dass dort die Anfänge ihres Volkes seien, dort ihr Gott Herrscher über alles, das Übrige ihm unterworfen und gehorsam sei. Ansehen verleiht die äußere Lage der Semnonen: von ihnen werden hunderte Gaue bewohnt und durch ihre große Gesamtmasse wird bewirkt, dass sie glauben, sie seien das Haupt der Sueben.
| 40. Kleinere Völker und der Nerthus-Kult |
[40] Contra Langobardos paucitas nobilitat: plurimis ac valentissimis nationibus cincti non per obsequium, sed proeliis ac periclitando tuti sunt. Reudigni deinde et Aviones et Anglii et Varini et Eudoses et Suardones et Nuithones fluminibus aut silvis muniuntur. Nec quicquam notabile in singulis, nisi quod in commune Nerthum, id est Terram matrem, colunt eamque intervenire rebus hominum, invehi populis arbitrantur. Est in insula Oceani castum nemus, dicatumque in eo vehiculum, veste contectum; attingere uni sacerdoti concessum. Is adesse penetrali deam intellegit vectamque bubus feminis multa cum veneratione prosequitur. Laeti tunc dies, festa loca, quaecumque adventu hospitioque dignatur. Non bella ineunt, non arma sumunt; clausum omne ferrum; pax et quies tunc tantum nota, tunc tantum amata, donec idem sacerdos satiatam conversatione mortalium deam templo reddat. Mox vehiculum et vestes et, si credere velis, numen ipsum secreto lacu abluitur. Servi ministrant, quos statim idem lacus haurit. Arcanus hinc terror sanctaque ignorantia, quid sit illud, quod tantum perituri vident.
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[40] Dagegen verhilft den Langobarden ihre geringe Zahl zu Ansehen: von sehr vielen und sehr starken Stämmen umgürtet, sind sie nicht durch Gefolgschaft, sondern durch Gefechte und Riskieren sicher. Die Reudigner ferner, die Avionen, Angeln, Warnen, Eudosen und Nuithonen werden durch Flüsse oder Wälder geschützt. Nichts an den Einzelnen ist bemerkenswert, außer dass sie insgesamt die Nerthus, das heißt die Mutter Erde, verehren und glauben, sie nehme sich der Menschendinge an und zu den Völkern hinfahre. Auf einer Insel des Ozeans befindet sich ein heiliger Hain, und in diesem ein geweihter, mit einem Gewand bedeckter Wagen; einem einzigen Priester ist das Berühren erlaubt. Dieser weiß, wenn die Göttin im Heiligtum zugegen ist und geleitet sie, die von weiblichen Rindern gefahren, unter großer Verehrung. Fröhlich sind dann die Tage, festlich die Orte, welche auch immer sie ihrer Ankunft und ihres Aufenthalts für würdig hält. Nicht gehen sie Kriege ein, nicht greifen sie zu den Waffen; verschlossen ist jedes Eisen; Frieden und Ruhe sind dann nur bekannt, dann nur geliebt, bis derselbe Priester die des Umgangs mit den Sterblichen satte Göttin dem Heiligtum zurückgibt. Hierauf werden der Wagen, die Kleider und, wenn man es glauben will, die Gottheit selbst an einem geheimen See gewaschen. Sklaven helfen dabei, die sogleich derselbe See verschlingt. Daher herrschen ein geheimnisvolles Grauen und fromme Uniwissenheit darüber, was jenes sei, was sie nur sehen, wenn sie im Begriffe sind, zu sterben.
| 41. Elbgermanische Stämme II : Hermunduren und ihre Beziehung zu den Römern |
[41] Et haec quidem pars Sueborum in secretiora Germaniae porrigitur. Propior, ut, quo modo paulo ante Rhenum, sic nunc Danuvium sequar, Hermundurorum civitas, fida Romanis; eoque solis Germanorum non in ripa commercium, sed penitus atque in splendidissima Raetiae provinciae colonia. Passim et sine custode transeunt; et cum ceteris gentibus arma modo castraque nostra ostendamus, his domos villasque patefecimus non concupiscentibus. In Hermunduris Albis oritur, flumen inclutum et notum olim; nunc tantum auditur.
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[41] Und dieser Teil der Sueben dehnt sich in entlegenere Regionen Germaniens aus. Näher ist, damit ich wie kurz zuvor dem Rhein, so nun der Donau folge, der Stamm der Hermunduren, den Römern treu ergeben; und deshalb betreiben sie als die alleinigen der Germanen nicht nur am Flussufer Handel, sondern tief hinein und in der prächtigsten Kolonie der Provinz Raetiens. Allerorten und ohne Wächter gehen sie hinüber; und während wir den übrigen Völkerschaften nur unsere Waffen und Lager zeigen, haben wir diesen unsere Häuser und Landgüter geöffnet, ohne dass sie es begehrten. Bei den Hermunduren entspringt die Elbe, ein ehemals berühmter und wohlbekannter Fluss; jetzt hört man nur noch von ihm.
| 42. Elbgermanische Stämme III : Markomannen und Quader |
[42] Iuxta Hermunduros Naristi ac deinde Marcomani et Quadi agunt. Praecipua Marcomanorum gloria viresque, atque ipsa etiam sedes pulsis olim Boiis virtute parta. Nec Naristi Quadive degenerant. Eaque Germaniae velut frons est, quatenus Danuvio peragitur. Marcomanis Quadisque usque ad nostram memoriam reges mansere ex gente ipsorum, nobile Marobodui et Tudri genus: iam et externos patiuntur, sed vis et potentia regibus ex auctoritate Romana. Raro armis nostris, saepius pecunia iuvantur, nec minus valent.
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[42] Dicht an den Hermunduren leben die Narister und dann die Markomannen und Quader. Außerordentlich sind Ruhm und Stärke der Markomannen, und sogar auch ihr Wohnsitz wurde, dadurch dass sie einst die Bojer vertrieben, durch Tapferkeit erworben. Nicht entartet sind die Narister und Quader. Und dies ist gleichsam die Stirn Germaniens, soweit sie von der Donau umsäumt wird. Den Markomannen und Quadern verblieben bis in unsere Zeit Könige aus dem Volk ihrerselbst, des Marbods und Tuders edles Geschlecht: nun dulden sie auch Auswärtige, doch Stärke und Macht besitzen ihre Könige des römischen Einflusses wegen. Selten werden sie mit unseren Waffen, öfters mit Geld unterstützt, und sind deswegen nicht weniger stark.
| 43. Marsigner und Buren, Kotiner und Osen, die Lugier und deren Untervölker |
[43] Retro Marsigni, Cotini, Osi, Buri terga Marcomanorum Quadorumque claudunt. E quibus Marsigni et Buri sermone vultuque Suebos referunt: Cotinos Gallica, Osos Pannonica lingua coarguit non esse Germanos, et quod tributa patiuntur. Partem tributorum Sarmatae, partem Quadi ut alienigenis imponunt: Cotini, quo magis pudeat, et ferrum effodiunt. Omnesque hi populi pauca campestrium, ceterum saltus et vertices montium iugumque insederunt. Dirimit enim scinditque Suebiam continuum montium iugum, ultra quod plurimae gentes agunt, ex quibus latissime patet Lygiorum nomen in plures civitates diffusum. Valentissimas nominasse sufficiet: Harios, Helveconas, Manimos, Helisios, Nahanarvalos. Apud Nahanarvalos antiquae religionis lucus ostenditur. Praesidet sacerdos muliebri ornatu, sed deos interpretatione Romana Castorem Pollucemque memorant. Ea vis numini, nomen Alcis. Nulla simulacra, nullum peregrinae superstitionis vestigium; ut fratres tamen, ut iuvenes venerantur. Ceterum Harii super vires, quibus enumeratos paulo ante populos antecedunt, truces insitae feritati arte ac tempore lenocinantur: nigra scuta, tincta corpora; atras ad proelia noctes legunt ipsaque formidine atque umbra feralis exercitus terrorem inferunt, nullo hostium sustinente novum ac velut infernum adspectum; nam primi in omnibus proeliis oculi vincuntur.
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[43] Von hinten schließen Marsigner, Kotiner, Oser und Buren an den Rücken der Markomannen und Quader an. Von diesen spiegeln die Marsigner und Buren die Sueben in Sprache und Tracht wider: ihre gallische Sprache beweist, dass die Kotiner, ihre pannonische, dass die Osen keine Germanen sind, und weil sie Steuern dulden. Einen Teil der Steuern erlegen ihnen als Fremdgeborenen die Sarmaten, den anderen die Quader auf. Die Kotiner, damit es umso mehr beschämt, graben auch Eisen aus. All diese Völker bewohnen wenig flaches Land, sondern vielmehr Waldgebirge, die Gipfel und den Kamm von Bergen. Denn Suebien trennt und spaltet eine zusammenhängende Gebirgskette, jenseits derer sehr viele Völkerschaften leben, von denen der Name der Lugier am weitesteten verbreitet ist, in mehrere Stämme zerstreut. Es wird genügen die mächtigsten genannt zu haben: die Harier, Helvekonen, Manimer, Helisier und Nahanarvalen. Bei den Nahanarvalen zeigt man einen Hain einer alten religiösen Kultstätte. Aufsicht führt ein Priester in Frauentracht, als Götter aber nennen sie - um römische Begriffe zu verwenden - Castor und Pollux. Dies ist der Gottheit Wesen, ihr Name „Alcis“. Keine Bildnisse, keine Spur ausländischen Götterkultes; doch als Brüder, als Jünglinge werden sie verehrt. Im Übrigen verleihen die Harier über ihre Kräfte hinaus, hinsichtlich derer sie die kurz zuvor aufgezählten Völker übertreffen, grimmig ihrer angeborenen Wildheit durch Kunst und Gelegenheit besonderen Reiz: schwarz sind ihre Schilde, bemalt ihre Körper; für die Schlachten wählen sie finstere Nächte und bloß durch die Schauerlichkeit und den Schatten ihres Heeres der Unterwelt bringen sie Schrecken, ohne dass einer der Feinde den ungewöhnlichen und gleichsam höllischen Anblick erträgt; denn in allen Schlachten werden die Augen als erste besiegt.
| 44. Gotonen, Rugier, Lemovier und Suionen |
[44] Trans Lygios Gotones regnantur, paulo iam adductius quam ceterae Germanorum gentes, nondum tamen supra libertatem. Protinus deinde ab Oceano Rugii et Lemovii; omniumque harum gentium insigne rotunda scuta, breves gladii et erga reges obsequium.
Suionum hinc civitates ipso in Oceano praeter viros armaque classibus valent. Forma navium eo differt, quod utrimque prora paratam semper adpulsui frontem agit. Nec velis ministrantur nec remos in ordinem lateribus adiungunt: solutum, ut in quibusdam fluminum, et mutabile, ut res poscit, hinc vel illinc remigium. Est apud illos et opibus honos, eoque unus imperitat, nullis iam exceptionibus, non precario iure parendi. Nec arma, ut apud ceteros Germanos, in promiscuo, sed clausa sub custode, et quidem servo, quia subitos hostium incursus prohibet Oceanus, otiosae porro armatorum manus facile lasciviunt. Enimvero neque nobilem neque ingenuum, ne libertinum quidem armis praeponere regia utilitas est.
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[44] Jenseits den Lygiern werden die Gotonen durch Könige beherrscht, noch ein wenig straffer als die übrigen Stämme der Germanen, doch noch nicht über die Freiheit hinaus. Dann sogleich am Ozean leben Rugier und Lemovier; all dieser Völker Kennzeichen sind kreisrunde Schilde, kurze Schwerter und Gefolgschaft gegen Könige.
Von hier an, unmittelbar am Ozean, behaupten die Suionen, außer durch Männer und Waffen, durch Schiffe ihre Geltung. Die Gestalt der Schiffe unterscheidet sich darin, dass ein Bug auf beiden Seiten eine immer zum Landen bereite Stirn führt. Weder werden die Schiffe durch Segel bedient noch fügen sie den Schiffsseiten der Reihe nach Ruder bei: lose, wie auf manchen Flüssen, und beweglich, wie es die Situation fordert, ist das Ruderwerk auf dieser oder jener Seite. Bei Ihnen ist steht auch das Vermögen in Ehre, und deshalb befehligt ein einziger, nunmehr ohne Einschränkungen, mit unwiderruflichem Recht auf Gehorsam. Auch sind die Waffen nicht, wie bei den übrigen Germanen, in jedermanns Hand, sondern unter einem Wächter verschlossen, und zwar einem Sklaven, weil der Feinde plötzliche Angriffe der Ozean abhält, müßige Hände von Bewaffneten sich aber leicht überheben. Natürlich liegt es im Interesse des Königs, weder einen Adligen noch einen Freigeborenen, nicht einmal einen Freigelassenen zum Aufseher über die Waffen zu machen.
| 45. Aestier und Sitonen |
[45] Trans Suionas aliud mare, pigrum ac prope inmotum, quo cingi cludique terrarum orbem hinc fides, quod extremus cadentis iam solis fulgor in ortus edurat adeo clarus, ut sidera hebetet; sonum insuper emergentis audiri formasque equorum et radios capitis adspici persuasio adicit. Illuc usque (et fama vera) tantum natura.
Ergo iam dextro Suebici maris litore Aestiorum gentes adluuntur, quibus ritus habitusque Sueborum, lingua Britannicae propior. Matrem deum venerantur. Insigne superstitionis formas aprorum gestant: id pro armis omniumque tutela securum deae cultorem etiam inter hostis praestat. Rarus ferri, frequens fustium usus. Frumenta ceterosque fructus patientius quam pro solita Germanorum inertia laborant. Sed et mare scrutantur, ac soli omnium sucinum, quod ipsi glesum vocant, inter vada atque in ipso litore legunt. Nec, quae natura, quaeve ratio gignat, ut barbaris, quaesitum compertumve; diu quin etiam inter cetera eiectamenta maris iacebat, donec luxuria nostra dedit nomen. Ipsis in nullo usu; rude legitur, informe profertur, pretiumque mirantes accipiunt. Sucum tamen arborum esse intellegas, quia terrena quaedam atque etiam volucria animalia plerumque interlucent, quae implicata umore mox durescente materia cluduntur. Fecundiora igitur nemora lucosque, sicut Orientis secretis, ubi tura balsamaque sudantur, ita Occidentis insulis terrisque inesse crediderim, quae vicini solis radiis expressa atque liquentia in proximum mare labuntur ac vi tempestatum in adversa litora exundant. Si naturam sucini admoto igni temptes, in modum taedae accenditur alitque flammam pinguem et olentem; mox ut in picem resinamve lentescit.
Suionibus Sitonum gentes continuantur. Cetera similes uno differunt, quod femina dominatur; in tantum non modo a libertate, sed etiam a servitute degenerant.
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[45] Jenseits der Suionen liegt ein anderes Meer, träge und beinahe unbewegt. Die Bestätigung, dass der Erdkreis durch dieses umgürtet und geschlossen wird, findet sich darin, dass der letzte Glanz der schon untergehenden Sonne bis zu ihren Aufgang so hell andauert, dass er die Sterne erbleicht; abergläubische Überzeugung fügt hinzu, dass überdies ein Klang beim Aufgang der Sonne gehört werde und Formen von Pferden und Strahlen eines Hauptes erblickt würden. Bis dorthin nur (und die Überlieferung ist wahr) reicht die Natur.
So werden denn ferner von der rechten Küste des suebischen Meeres die Völker der Aestier bespült, welchen Sitten und Aussehen der Sueben sind. Ihre Sprache ist der britannischen näher. Sie verehren die Göttermutter. Als Kennzeichen ihres Glaubens tragen sie Figuren von Ebern: Dies macht - statt Waffen und Schutz gegen alles - den Verehrer der Göttin auch unter Feinden sicher. Selten ist der Gebrauch von Eisen, häufiger von Holzprügeln. Getreide und übrige Feldfrüchte bauen sie ausdauernder an, als man es nach der gewohnten Faulheit der Germanen erwarten sollte. Aber auch das Meer durchstöbern sie, und als alleinige aller Germanen sammeln sie im seichten Wasser und unmittelbar am Strand Bernstein, den sie selbst „glaesum“ nennen. Doch von ihnen als Barbaren wurde nicht erfragt oder genau ermittelt, welches Wesen ihm ist, oder welcher Grund ihn entstehen lässt. Ja er lag sogar lange zwischen den anderen Auswürfen des Meeres, bis unsere Prunkliebe ihm seinen Namen gab. Ihnen selbst ist er in keinem Gebrauch; roh wird er gesammelt, ungestaltet fortgebracht und staunend empfangen sie das Geld für ihn. Dass er jedoch ein Baumsaft ist, ersieht man, weil ja sehr oft gewisse Erd- und Flügeltiere hervorschimmern, die, von der Flüssigkeit umschlungen, darauf, wenn sich die Materie verhärtet, eingeschlossen werden. Ich möchte folglich annehmen, dass es, wie in den abgeschiedenen Gegenden des Orients, wo Weihrauch und Balsam ausgeschwitzt werden, so auch auf Inseln und in Ländern des Okzidents fruchtbare Wälder und Haine gibt, die - durch die Strahlen der benachbarten Sonne ausgequetscht und flüssig – ins nächste Meer herabgleiten und durch die Gewalt der Stürme an die gegenüberliegenden Strände angeschwemmt werden. Untersucht man die Beschaffenheit des Bernstein durch Anwendung von Feuer, entflammt er nach der Art von Kien und nährt eine fette und riechende Flamme; hierauf wird er zäh wie zu Pech oder Harz.
Unmittelbar an die Suionen schließen sich die Völkerschaften der Sitoner an. Im Übrigen gleich, unterscheiden sie sich einzig darin, dass die Frau herrscht; so sehr arten sie nicht nur von der Freiheit, sondern auch von der Knechtschaft ab.
| 46. Grenze Suebiens und Ausklang ins Märchenhafte |
[46] Hic Suebiae finis. Peucinorum Venedorumque et Fennorum nationes Germanis an Sarmatis adscribam dubito, quamquam Peucini, quos quidam Bastarnas vocant, sermone, cultu, sede ac domiciliis ut Germani agunt. Sordes omnium ac torpor procerum; conubiis mixtis nonnihil in Sarmatarum habitum foedantur. Venedi multum ex moribus traxerunt; nam quidquid inter Peucinos Fennosque silvarum ac montium erigitur, latrociniis pererrant. Hi tamen inter Germanos potius referuntur, quia et domos figunt et scuta gestant et pedum usu ac pernicitate gaudent: quae omnia diversa Sarmatis sunt in plaustro equoque viventibus. Fennis mira feritas, foeda paupertas: non arma, non equi, non penates; victui herba, vestitui pelles, cubile humus: solae in sagittis spes, quas inopia ferri ossibus asperant. Idemque venatus viros pariter ac feminas alit; passim enim comitantur partemque praedae petunt. Nec aliud infantibus ferarum imbriumque suffugium, quam ut in aliquo ramorum nexu contegantur: huc redeunt iuvenes, hoc senum receptaculum. Sed beatius arbitrantur quam ingemere agris, inlaborare domibus, suas alienasque fortunas spe metuque versare: securi adversus homines, securi adversus deos rem difficillimam adsecuti sunt, ut illis ne voto quidem opus esset. Cetera iam fabulosa: Hellusios et Oxionas ora hominum vultusque, corpora atque artus ferarum gerere: quod ego ut incompertum in medio relinquam.
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[46] Hier liegt die Grenze Suebiens. Ich zweifle darüber, ob ich die Stämme der Peukiner, Veneder und Fennen den Germanen oder den Sarmaten zurechnen soll, obwohl die Peukiner, die manche Leute Bastarner nennen, hinsichtlich Sprache, Kultur, Wohnsitz und Behausungen wie Germanen leben. Schmutz aller und dumpfes Hinbrüten der Vornehmsten; durch gemischte Heiraten haben sie etwas von der Missgestalt der Sarmaten angenommen. Die Veneder haben viel von den Sitten der Sarmaten angenommen; denn alles, was an Wäldern und Bergen sich zwischen Peukinern und Fennen erhebt, durchstreifen sie mit Raubzügen. Diese werden jedoch eher zu den Germanen gezählt, weil sie Häuser bauen, Schilde tragen und sich über den Gebrauch und die Flinkheit ihrer Füße freuen: dies alles weicht von den Sarmaten ab, da sie auf Frachtwagen und Pferd ihr Leben zubringen. Die Fennen haben ein erstaunlich wildes Wesen, eine entsetzliche Armut: keine Waffen, keine Pferde, keine Häuser; Pflanzen zur Kost, Felle zur Kleidung, der Erdboden ihr Lager: ihre einzige Hoffnung liegt in den Pfeilen, die sie wegen Eisenmangel mit Knochen scharf machen. Ein und dieselbe Jagd nährt Männer ebenso wie Frauen; sie begleiten die Männer überallhin und beanspruchen einen Teil der Beute. Ihren Kindern ist nichts anderes Zufluchtsort vor Wild und Regen, als dass man sie durch irgendeine Umschlingung von Ästen bedeckt: hierher kehren die jungen Männer zurück, dies ist der Alten Sammelort. Doch erachten sie es für glückseliger als sich auf Feldern abzuackern, sich mit Häusern abzumühen und an eigenen und fremden Gütern bei Hoffnung und Furcht herumzuhobeln: ohne Sorge gegenüber den Menschen, ohne Sorge gegenüber den Göttern haben sie das Schwerste erreicht, dass ihnen nicht einmal ein Wunsch vonnöten ist. Übriges ist schon märchenhaft: die Hellusionen und Oxionen sollen Gesichter und Mienen von Menschen, Leiber und Gliedmaßen wilder Tiere haben; dies möchte ich als unerforscht in der Schwebe lassen.
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Anmerkungen und Hilfen
[38]
sequuntur : dieses Verb lässt sich syntaktisch und lexikalisch nicht rechtfertigen.
Aus syntaktischer Hinsicht: sequuntur regiert zweifelsfrei das „horrentem capillum“. Nun fehlt aber das in dieser Konstruktion notwendige Subjekt. Natürlich sind die Sueben (oder zumindest ein Teil von Ihnen, der allerdings nicht genannt ist) Handlungsträger. Eine solche Konstruktion „apud Suebos (Suebi) horrentem capillum retro sequuntur“ wäre äußert unelegant: „bei den Sueben folgen sie (die Sueben) dem struppigen Haar zurück.“ Man würde eine passivische Konstruktion erwarten: „bei den Sueben wird irgendetwas gemacht“.
Aus Lexikalischer Hinsicht: Selbst wenn man darüber hinwegsähe, würde es voraussetzen, dass das Haar der Sueben von Natur aus rückwärts verläuft, denn „apud Suebos Suebi horrentem capillum retro sequuntur“ hieße dann ja: „sie folgen dem struppigen Haar zurück“.
Um an diese beiden Argumente anzuknüpfen: Dem Satz fehlt ein Subjekt und das sequuntur muss aus lexikalischen Gründen gestrichen werden. Ich möchte zwei Möglichkeiten vorstellen, um dem von Tacitus ausgedrückten Sinn - unter Beachtung des taciteischen Stils - auch eine grammatikalische und lexikalische Korrektheit zu verleihen, cf. dazu auch Allan A. Lund, 61-67.
1. Man ergänzt ein neues Subjekt und ändert das Prädikat. Für das Subjekt würde ich, um mich an den vorherigen Kapiteln zu orientieren, „fortissimi“ (Kap. 31) oder „virtute praecipui“ (Kap. 29) vorschlagen. Dort geht Tacitus auch nach der Art vor, dass er zuerst Völker im Allgemeinen vorstellt und dann auf kleinere, hervorstechende Gruppen innerhalb des Volkes eingeht oder zwischen Völkern selektiert.
Als Prädikat würde ich pectare oder erigere empfehlen (beide finden sich mit capillum/capillos). Daraus ergibt sich der neue Satz:
„Apud Suebos usque ad canitiem <fortissimi> horrentem capillum retro sequuntur <pectunt / (erigunt)> ac saepe in ipso vertice religant.”
Bei den Sueben <kämmen / (richten)> die <Tapfersten> ihr struppiges Haar bis zum Ergrauen nach hinten <(in die Höhe)> und binden es oftmals unmittelbar auf dem Scheitel auf.
2. Möchte man kein neues Subjekt ergänzen, bietet es sich an, das bestehende Akkusativobjekt „horrentem capillum“ zu modifizieren. Geringfügig sind dann auch die Verben anzupassen:
„Apud Suebos usque ad canitiem <horrens capillus> retro sequuntur <pectuntur / eriguntur> ac saepe in ipso vertice <religatur>.”
Bei den Sueben wird ihr struppiges Haar bis zum Ergrauen nach hinten <gekämmt / (in die Höhe gerichtet)> und oftmals unmittelbar auf dem Scheitel aufgebunden.
Wenn man dann noch auf das Hinzufügen eines Verbes verzichten möchte, könnte man in dieser Fassung „retro“ und das zu tilgende „sequuntur“ zu „retorquetur“ fusionieren. So würde sich auch das „Q“ in dem falschen „sequuntur“ erklären.
religare : kontrastierend zu substringere.
principes et ornatiorem habent : zu ergänzen ist capillum.
neque enim, ut ament amenturve, in altitudinem quandam et terrorem adituri bella compti, ut hostium oculis, ornantur : auch dieser Satz ist mit Fehler belastet. So folgt nach dem Zweck, für den sie sich nicht schmücken, der wahre Zeck. Man würde allerdings ein „sed“ erwarten, bestenfalls ein „sed ut“, um die Satzstruktur parallel zu halten (dafür würde aber ein weiteres Prädikat benötigt werden). Eine derartige Inkonzinnität (also ohne „ut“) kann von Tacitus jedoch durchaus gewollt sein, sodass er zuerst einen Zweck über einen ut-Satz und dann über einen Präpositionalausdruck angibt.
Das ist noch nicht die größte Schwierigkeit des Satzes. Das „ut“ vor „hostium oculis“ ergibt noch weniger Sinn: „Sie schmücken sich […] geziert, wie/um für die Augen der Feinde“. Vielmehr ist davon auszugehen, dass „hostium oculis“ schlicht Objekt zu „compti“ ist. Das „ut“ ist deplatziert und muss gestrichen werden.
In dieser Übersetzung folgt man daher folgendem Verständnis:
neque enim (ornantur), ut ament amenturve, <sed> in altitudinem quandam et terrorem adituri bella compti ut hostium oculis ornantur.
[39]
primordia : Sg. primordium, zusammengesetzt aus primus und ordiri: „die Uranfgänge“.
nemo nisi vinculo ligatus ingreditur : eig. „niemand außer ein durch Fessel gebundener betritt (ihn)“.
[40]
pentrale : is, n. „Heiligtum“
ignorantia, quid sit illud : „Unwissenheit, was jenes sei”. Es handelt sich um einen indirekten Fragesatz, wodurch auch der Konjunktiv bedingt ist.
[43]
campestrium : von campestria, ium, n. „die flache, ebene Gegend“
[44]
nec arma in promiscuo (sunt) : eig. „auch sind ihre Waffen nicht im Gemeinschaftlichen (= gemeinschaftlich) verfügbar.“
[45]
deum : alternative Form nach der konsonantischen Deklination für deorum bzw. dearum.
Nec, quae natura, quaeve ratio gignat, ut barbaris, quaesitum compertumve. : dieser Satz wurde von Tacitus mittels Ellipsen ziemlich kurz gehalten und ist daher recht unverständlich. Der gemeinte Sinn ist sicher jener: „Eis (von den „Aestiis“), ut barbaris, nec quaesitum nec compertum est, quae natura sucino est, quaeve ratio sucinum gignat.“
admoto igni : dominantes Partizip
non modo a libertate, sed etiam a servitute degenerant : Während alle anderen Germanen nichts mehr als ihre Freiheit lieben und exzessiv ausleben, lassen sich die Sitoner sogar von ihren Frauen beherrschen (Vergleich Kapitel 22).
[46]
nonnihil : adverbial erstarrte Form bzw. eig. ein accusativus limitationis „hinsichtlich nicht nichts = hinsichtlich etwas, einigermaßen“. Daher heißt conubiis mixtis nonnihil in Sarmatarum habitum foedantur wörtlich „sie haben sich durch gemischte Ehen (hinsichtlich) etwas in das Aussehen der Sarmaten entstellt.“
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Imperator |
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