Übersetzungen - Tacitus
Tacitus - Germania - Kapitel VI-XV: Öffentliches Leben - Deutsche Übersetzung
21.02.2012 - 15:31

Kapitel VI-XV: Öffentliches Leben



[6] Bodenschätze, Bewaffnung und Kriegsführung
[7] Rolle der Heerführer, Priester und Familien
[8] Achtung vor den Frauen
[9] Verehrung der Götter
[10] Vorzeichen und Losorakel
[11] Volksversammlungen
[12] Rechte und Strafen
[13] Waffenkult, die Führer und ihr Gefolge
[14] Militarismus und Kriegsaffinität
[15] Lebensweise zu Friedenszeiten



6. Bodenschätze, Bewaffnung und Kriegsführung


[6] Ne ferrum quidem superest, sicut ex genere telorum colligitur. Rari gladiis aut maioribus lanceis utuntur: hastas vel ipsorum vocabulo frameas gerunt angusto et brevi ferro, sed ita acri et ad usum habili, ut eodem telo, prout ratio poscit, vel comminus vel eminus pugnent. Et eques quidem scuto frameaque contentus est; pedites et missilia spargunt, pluraque singuli, atque in inmensum vibrant, nudi aut sagulo leves. Nulla cultus iactatio; scuta tantum lectissimis coloribus distinguunt. Paucis loricae, vix uni alterive cassis aut galea. Equi non forma, non velocitate conspicui. Sed nec variare gyros in morem nostrum docentur: in rectum aut uno flexu dextros agunt, ita coniuncto orbe, ut nemo posterior sit. In universum aestimanti plus penes peditem roboris; eoque mixti proeliantur, apta et congruente ad equestrem pugnam velocitate peditum, quos ex omni iuventute delectos ante aciem locant. Definitur et numerus; centeni ex singulis pagis sunt, idque ipsum inter suos vocantur, et quod primo numerus fuit, iam nomen et honor est. Acies per cuneos componitur. Cedere loco, dummodo rursus instes, consilii quam formidinis arbitrantur. Corpora suorum etiam in dubiis proeliis referunt. Scutum reliquisse praecipuum flagitium, nec aut sacris adesse aut concilium inire ignominioso fas; multique superstites bellorum infamiam laqueo finierunt.


[6] Nicht einmal Eisen ist vorhanden, wie sich aus der Art der Waffen folgern lässt. Selten gebrauchen sie Schwerter oder größere Lanzen: Sie führen Speere - oder nach ihrer Bezeichnung Framen – mit schmalem und kurzem, aber so scharfem und zum Gebrach handlichen Eisen, dass sie mit derselben Waffe, je nachdem es die Situation fordert, entweder im Nah- oder Fernkampf kämpfen können. Ja auch der Reiter ist mit Schild und Frame zufrieden; die Fußsoldaten werfen auch Wurfgeschosse, und zwar die einzelnen mehrere, und sie schleudern sie ins Unermessliche, nackt oder leichtbekleidet mit einem Mantel. Kein Prahlen mit der Ausstattung; nur die Schilde verzieren sie mit erlesensten Farben. Wenige haben Panzer, kaum hat der eine oder andere eine Sturmhaube oder einen Helm. Die Pferde sind nicht durch ihre Gestalt, nicht durch ihre Schnelligkeit hervorstechend. Aber sie werden auch nicht nach unserer Art gelehrt, Kreiswendungen zu machen: sie treiben sie geradeaus oder mit einer einzigen Schwenkung nach rechts, wobei der Kreis so geschlossen ist, dass niemand der Letzte ist. Schätzt man’s ins Allgemeine, ist mehr Kraft beim Fußvolk; und daher kämpfen sie gemischt, mit geeigneter und dem berittenen Kampf angemessener Schnelligkeit der Fußsoldaten, die sie, aus der ganzen Jugendmannschaft ausgehoben, vor die Schlachtlinie positionieren. Ihre zahl wird begrenzt: je Hundert kommen aus den einzelnen Gauen und ebendanach werden sie unter den Ihrigen genannt, und was zunächst eine Zahl war, ist nun Name und Ehre. Die Schlachtlinie wird durch Keile gebildet. Sie halten es mehr für eine kluge Berechnung als für Furcht, vom Platz zu weichen, wenn man nur wieder herandringt. Ihre Gefallenen tragen sie auch in ungünstigen Schlachten zurück. Seinen Schild zurückgelassen zu haben ist eine außerordentliche Schade und dem Schimpflichen ist es weder erlaubt, an Opfern teilzunehmen noch die Volksversammlung zu betreten; und viele, die den Krieg überlebt haben, beenden ihre Schande durch die Schlinge.


7. Rolle der Heerführer, Priester und Frauen


[7] Reges ex nobilitate, duces ex virtute sumunt. Nec regibus infinita aut libera potestas, et duces exemplo potius quam imperio, si prompti, si conspicui, si ante aciem agant, admiratione praesunt. Ceterum neque animadvertere neque vincire, ne verberare quidem nisi sacerdotibus permissum, non quasi in poenam nec ducis iussu, sed velut deo imperante, quem adesse bellantibus credunt. Effigiesque et signa quaedam detracta lucis in proelium ferunt; quodque praecipuum fortitudinis incitamentum est, non casus, nec fortuita conglobatio turmam aut cuneum facit, sed familiae et propinquitates; et in proximo pignora, unde feminarum ululatus audiri, unde vagitus infantium. Hi cuique sanctissimi testes, hi maximi laudatores. Ad matres, ad coniuges vulnera ferunt; nec illae numerare aut exigere plagas pavent, cibosque et hortamina pugnantibus gestant.

[7] Könige wählen sie nach ihrem Adel, Führer nach ihrer Tapferkeit. Ihre Könige habe keine unbegrenzte oder freie Amtsgewalt, und ihre Führer stehen eher mit ihrem Beispiel als ihrer Befehlsgewalt in Bewunderung voran, wenn sie bereit und sichtbar vor der Schlachtlinie stehen. Ferner ist weder Hinrichten noch Fesseln, nicht einmal Prügeln erlaubt, außer den Priestern, nicht wie zur Strafe und nicht auf Befehl des Führers, sondern gleichsam auf Geheiß des Gottes, von dem sie glauben, er wohne den Kämpfenden bei. Auch tragen sie Bilder und gewisse Symbole, die sie aus Hainen holen, ins Gefecht; und was der Hauptsporn ihrer Tapferkeit ist: nicht Zufall, nicht eine zufällige Zusammenrottung bildet das Schwadron oder den Keil, sondern ihre Familien und Verwandten; und in nächster Nähe sind ihre Unterpfänder der Liebe, woher man das Jammern ihrer Frauen, woher man das Wimmern ihrer Kinder hört. Diese sind für jeden die heiligsten Zeugen, die größten Lobspender. Zu den Müttern, zu den Ehefrauen bringen sie ihre Wunden; und jene ängstigen sich nicht die Schnitte zu zählen oder zu untersuchen, und tragen den Kämpfenden Speisen und Aufmunterungen herbei.


8. Achtung vor den Frauen


[8] Memoriae proditur quasdam acies inclinatas iam et labantes a feminis restitutas constantia precum et obiectu pectorum et monstrata comminus captivitate, quam longe inpatientius feminarum suarum nomine timent, adeo ut efficacius obligentur animi civitatum, quibus inter obsides puellae quoque nobiles imperantur. Inesse quin etiam sanctum aliquid et providum putant, nec aut consilia earum aspernantur aut responsa neglegunt. Vidimus sub divo Vespasiano Veledam diu apud plerosque numinis loco habitam; sed et olim Albrunam et compluris alias venerati sunt, non adulatione nec tamquam facerent deas.

[8] Nach der Überlieferung seien gewisse Schlachtlinien, schon sinkend und wankend, von Frauen durch die Beharrlichkeit ihrer Bitten, das Darbieten ihrer Brüste und das Hinweisen auf die unmittelbare Gefangenschaft wiederhergestellt worden, die sie im Hinblick auf ihre Frauen weitaus heftiger fürchten, so sehr, dass die Gemüter derjenigen Bürgerschaften, welchen unter den Geiseln auch edle Jungfrauen abverlangt werden, erfolgreicher verpflichtet werden. Ja sie meinen sogar, dass irgendetwas heiliges und vorhersendes in ihnen sei, und sie weisen weder ihre Ratschläge zurück noch missachten sie ihre Antworten. Wir haben unter dem göttlichen Vespasian gesehen, wie Veleda bei den meisten lange Zeit für eine Gottheit gehalten wurde; aber auch Albruna und einige andere wurden dereinst verehrt, nicht aus Schmeichelei und nicht, als würden sie sie zu Göttinnen machen.


9. Verehrung der Götter


[9] Deorum maxime Mercurium colunt, cui certis diebus humanis quoque hostiis litare fas habent. Herculem et Martem concessis animalibus placant. Pars Sueborum et Isidi sacrificat: unde causa et origo peregrino sacro, parum comperi, nisi quod signum ipsum in modum liburnae figuratum docet advectam religionem. Ceterum nec cohibere parietibus deos neque in ullam humani oris speciem adsimulare ex magnitudine caelestium arbitrantur: lucos ac nemora consecrant deorumque nominibus appellant secretum illud, quod sola reverentia vident.

[9] Von den Göttern verehren sie am meisten den Merkur. Sie halten es für eine heilige Pflicht, diesem an gewissen Tagen auch menschliche Opfer darzubringen. Herkules und Mars besänftigen sie mit erlaubten Tieropfern. Ein Teil der Sueben opfert auch der Isis: Woher dieser fremde Kult seine Ursache und seinen Ursprung hat, habe ich nicht genau in Erfahrung bringen können, außer dass dessen Symbol selbst, in der Art einer Liburnerschiffes gestaltet, die Herbeifahrt des Kultes nachweist. Im Übrigen: aufgrund der Größe der Himmlischen meinen sie, die Götter weder durch Wände einzuschließen noch irgendwie dem Aussehen eines menschlichen Antlitzes ähnlich zu gestalten: Sie weihen Haine und Wälder und rufen mit den Namen von Göttern jenes Geheimnisvolle an, was sie nur während ihrer Ehrerbietung sehen.


10. Vorzeichen und Losorakel


[10] Auspicia sortesque ut qui maxime observant: sortium consuetudo simplex. Virgam frugiferae arbori decisam in surculos amputant eosque notis quibusdam discretos super candidam vestem temere ac fortuito spargunt. Mox, si publice consultetur, sacerdos civitatis, sin privatim, ipse pater familiae, precatus deos caelumque suspiciens ter singulos tollit, sublatos secundum impressam ante notam interpretatur. Si prohibuerunt, nulla de eadem re in eundem diem consultatio; sin permissum, auspiciorum adhuc fides exigitur. Et illud quidem etiam hic notum, avium voces volatusque interrogare; proprium gentis equorum quoque praesagia ac monitus experiri. Publice aluntur isdem nemoribus ac lucis, candidi et nullo mortali opere contacti; quos pressos sacro curru sacerdos ac rex vel princeps civitatis comitantur hinnitusque ac fremitus observant. Nec ulli auspicio maior fides, non solum apud plebem, sed apud proceres, apud sacerdotes; se enim ministros deorum, illos conscios putant. Est et alia observatio auspiciorum, qua gravium bellorum eventus explorant. Eius gentis, cum qua bellum est, captivum quoquo modo interceptum cum electo popularium suorum, patriis quemque armis, committunt: victoria huius vel illius pro praeiudicio accipitur.

[10] Auspizien und Losorakel beobachten sie mehr als je irgendjemand: das Verfahren der Losorakel ist einfach. Eine von einem früchtetragenden Baum abgeschnittene Rute schneiden sie in Stäbchen und diese, durch gewisse Zeichen unterschieden, streuen sie blindlings und zufällig über ein weißes Tuch. Hierauf betet, wenn sich öffentlich beratschlagt werden sollte, der Priester der Gemeinde, wenn aber privat, der Hausvater selbst zu den Göttern, gen Himmel sehend, und hebt dann je drei einzelne Stäbchen auf und deutet die aufgehobenen gemäß des zuvor eingeprägten Zeichens. Wenn sie etwas verwehrt haben, findet am selben Tag keine Anfrage über dieselbe Sache mehr statt; Wenn etwas gestattet worden ist, wird noch ein Zuspruch der Auspizien gefordert. Auch ist hier freilich jenes bekannt, nämlich die Stimmen und den Flug der Vögel zu befragen; eigentümlich für dieses Volk ist es, sein Glück auch mit Weissagungen und Mahnungen von Pferden zu versuchen. Sie werden auf Staatskosten in Wäldern und Hainen genährt, sind weiß und von keiner irdischen Arbeit berührt; an einen heiligen Wagen geschirrt, begleiten diese ein Priester und der König oder das Haupt der Gemeinde und beobachten deren Wiehern und Schnauben. Nicht irgendeinem Vorzeichen wird mehr Glauben geschenkt, weder beim Volk, noch bei den Vornehmsten und bei den Priestern; sie halten sich nämlich für Diener der Götter, jene für deren Vertraute. Es gibt auch noch eine andere Beobachtung von Vorzeichen, mit der sie den Ausgang schwerwiegender Kriege zu ermitteln suchen. Einen Gefangenen desjenigen Volkes, mit dem Krieg ist, wie auch immer er aufgegriffen wurde, lassen sie mit einem Ausgewählten ihrer Landsmänner, jeden mit seinem heimischen Waffen, gegeneinader antreten: der Sieg des einen oder anderen wird als Vorentscheidung angesehen.


11. Volksversammlungen


[11] De minoribus rebus principes consultant; de maioribus omnes, ita tamen, ut ea quoque, quorum penes plebem arbitrium est, apud principes pertractentur. Coeunt, nisi quid fortuitum et subitum incidit, certis diebus, cum aut incohatur luna aut impletur; nam agendis rebus hoc auspicatissimum initium credunt. Nec dierum numerum, ut nos, sed noctium computant. Sic constituunt, sic condicunt: nox ducere diem videtur. Illud ex libertate vitium, quod non simul nec ut iussi conveniunt, sed et alter et tertius dies cunctatione coeuntium absumitur. Ut turbae placuit, considunt armati. Silentium per sacerdotes, quibus tum et coercendi ius est, imperatur. Mox rex vel princeps, prout aetas cuique, prout nobilitas, prout decus bellorum, prout facundia est, audiuntur, auctoritate suadendi magis quam iubendi potestate. Si displicuit sententia, fremitu aspernantur; sin placuit, frameas concutiunt. Honoratissimum adsensus genus est armis laudare.

[11] Über die Dinge von geringerer Wichtigkeit beratschlagen die Oberhäupter; über wichtigeres alle, doch so, dass auch diejenigen Dinge, deren Entscheidung beim Volk liegt, bei den Oberhäuptern durchdacht werden. Sie kommen, außer es tritt irgendetwas zufälliges und plötzliches ein, an bestimmten Tagen zusammen, wo entweder der Mond beginnt oder voll wird; sie halten dies nämlich für den verheißungsvollsten Beginn zur Behandlung von Angelegenheiten. Nicht die Zahl der Tage, wie bei uns, sondern die der Nächte berechnen sie. So setzen sie etwas fest, so verständigen sie sich: die Nacht scheint den Tag zu führen. Jenes ist ein Laster aufgrund ihrer Freiheit, nämlich dass sie nicht zugleich und nicht wie auf Befehl zusammenkommen, sondern sowohl ein zweiter als auch ein dritter Tag durch Säumniß der Zusammentretenden vergeht. Wie es der Menge gefällt, hält man in Waffen Sitzung. Ruhe wird durch die Priester befohlen, die dann auch das Recht der Züchtigung haben. Darauf werden König oder Fürst, je nach Alter, Adel, Kriegsruhm und Redegewandheit, angehört, mehr durch ihre fördernde Mitwirkung, Rat zu geben als durch ihre Amtsgewalt, Befehle zu erteilen. Wenn die Meinung missfällt, weisen sie sie mit Gebrüll zurück; findet sich aber Zuspruch, schlagen sie ihre Framen zusammen. Mit den Waffen zu loben ist die ehrenvollste Art der Beistimmung.


12. Rechte und Strafen


[12] Licet apud concilium accusare quoque et discrimen capitis intendere. Distinctio poenarum ex delicto. Proditores et transfugas arboribus suspendunt, ignavos et imbelles et corpore infames caeno ac palude iniecta insuper crate mergunt. Diversitas supplicii illuc respicit, tamquam scelera ostendi oporteat, dum puniuntur, flagitia abscondi. Sed et levioribus delictis pro modo poena: equorum pecorumque numero convicti multantur. Pars multae regi vel civitati, pars ipsi, qui vindicatur, vel propinquis eius exsolvitur. Eliguntur in isdem conciliis et principes, qui iura per pagos vicosque reddunt; centeni singulis ex plebe comites consilium simul et auctoritas adsunt.

[12] Es ist auch möglich bei der Versammlung Klage einzureichen und einen Prozess auf Leben und Tod anzustrengen. Unterscheidung der Strafen nach dem Vergehen: Verräter und Überläufer hängen sie an Bäumen auf, Nichtsnutze, Feiglinge und körperlich Unzüchtige versenken sie im Morast und Sumpf mit darüber geworfenem Flechtwerk. Die Verschiedenheit der Todesstrafen geht darauf zurück, dass Verbrechen, sofern sie bestraft werden, öffentlich gezeigt, Schändlichkeiten verborgen werden müssten. Aber auch für kleinere Delikte gibt es eine Strafe nach Maß: die Überführten werden um eine Zahl von Pferden und Vieh bestraft. Ein Teil der Strafe wird an den König oder die Gemeinde, ein Teil an denjenigen selbst, dem Genugtuung geleistet wird, oder an seine Verwandten gezahlt. In denselben Versammlungen werden auch ihre Oberhäupter gewählt, die in Gauen und Dörfern Recht sprechen; jedem Einzelnen stehen je Hundert Gefolgsleute aus dem Volk als Rat und Ansehen zugleich zur Seite.


13. Waffenkult, die Führer und ihr Gefolge


[13] Nihil autem neque publicae neque privatae rei nisi armati agunt. Sed arma sumere non ante cuiquam moris, quam civitas suffecturum probaverit. Tum in ipso concilio vel principum aliquis vel pater vel propinqui scuto frameaque iuvenem ornant: haec apud illos toga, hic primus iuventae honos; ante hoc domus pars videntur, mox rei publicae. Insignis nobilitas aut magna patrum merita principis dignationem etiam adulescentulis adsignant: ceteris robustioribus ac iam pridem probatis adgregantur, nec rubor inter comites adspici. Gradus quin etiam ipse comitatus habet, iudicio eius quem sectantur; magnaque et comitum aemulatio, quibus primus apud principem suum locus, et principum, cui plurimi et acerrimi comites. Haec dignitas, hae vires, magno semper et electorum iuvenum globo circumdari, in pace decus, in bello praesidium. Nec solum in sua gente cuique, sed apud finitimas quoque civitates id nomen, ea gloria est, si numero ac virtute comitatus emineat; expetuntur enim legationibus et muneribus ornantur et ipsa plerumque fama bella profligant.

[13] Aber nichts, weder an öffentlicher noch privater Sache erledigen sie außer als Bewaffnete. Doch ist es keinem Sitte, Waffen anzulegen, bevor ihn der Staat für waffenfähig erklärt hat. Dann rüsten in eben der Versammlung entweder jemand der Oberhäupter oder der Vater oder Verwandte den jungen Mann mit Schild und Frame aus: dies ist bei ihnen die Toga, dies die erste Auszeichnung der Jugend; vor dieser Prozession werden sie als Teil des Hauses, danach als Teil des Gemeinwesens gesehen. Hervorstechender Adel oder große Verdienste der Väter verleihen schon ganz jungen Männern das Ansehen eines Oberhauptes: Sie werden den übrigen Kräftigeren und schon lange Erprobten zugesellt: es ist für sie nämlich keine Schande unter Gefolgsleuten erblickt zu werden. Ja das Gefolge selbst hat sogar Ränge, nach Urteil desjenigen, dem sie folgen; und groß ist der Wettereifer, sowohl unter den Gefolgsleuten, wem der erste Platz an ihres Führers Seite sei, als auch unter den Führern, wem die meisten und tatkräftigsten Gefolgsleute seien. Dies ist ihre Würde, dies ihre Kraft und Macht, immer von einer großen Schar auserlesener Jünglinge umgeben zu werden, im Frieden Zierde, im Krieg Schutz. Nicht nur bei ihrem eigenen Volk, sondern auch bei den benachbarten Bürgerschaften gilt für jeden dies als Ansehen, dies als Ruhm, wenn sein Gefolge durch Zahl und Tatkraft hervorstechen würde; sie werden nämlich mit Gesandten aufgesucht und mit Geschenken beehrt; und sehr oft schlagen sie nur durch ihren Ruf sogar Kriege nieder.


14. Militarismus und Kriegsaffinität


[14] Cum ventum in aciem, turpe principi virtute vinci, turpe comitatui virtutem principis non adaequare. Iam vero infame in omnem vitam ac probrosum superstitem principi suo ex acie recessisse. Illum defendere, tueri, sua quoque fortia facta gloriae eius adsignare praecipuum sacramentum est. Principes pro victoria pugnant, comites pro principe. Si civitas, in qua orti sunt, longa pace et otio torpeat, plerique nobilium adulescentium petunt ultro eas nationes, quae tum bellum aliquod gerunt, quia et ingrata genti quies et facilius inter ancipitia clarescunt magnumque comitatum non nisi vi belloque tueare; exigunt enim principis sui liberalitate illum bellatorem equum, illam cruentam victricemque frameam. Nam epulae et quamquam incompti, largi tamen apparatus pro stipendio cedunt. Materia munificentiae per bella et raptus. Nec arare terram aut exspectare annum tam facile persuaseris quam vocare hostem et vulnera mereri. Pigrum quin immo et iners videtur sudore adquirere, quod possis sanguine parare.

[14] Wenn man in die Schlacht gekommen ist, ist es für den Führer schändlich, sich in Tapferkeit übertreffen zu lassen, schändlich für das Gefolge, der Tapferkeit des Führers nicht gleichzukommen. Vollends entehrend und schmachvoll gegen jedes Leben ist es, seinen Führer überlebend aus der Schlacht geschieden zu sein. Jenen zu verteidigen, zu schützen, auch seine eigenen tapferen Leistungen dessen Ruhm anzurechnen ist ein außerordentlicher Akt der Treue. Die Führer kämpfen für den Sieg, die Gefolgsleute für den Führer. Wenn die Gemeinde, in der sie geboren worden sind, durch langen Frieden und Nichtstun in träger Ruhe verharrt, suchen die meisten der jungen Adligen von sich aus diejenigen Stämme auf, die gerade irgendeinen Krieg führen, weil einerseits die Ruhe dem Volk unwillkommen ist und sie andererseits unter Gefahren leichter zu Ruhm gelangen und man eine große Gefolgschaft nur durch Gewalt und Krieg erhalten kann; sie verlangen von der Freizügkeit ihres Führers nämlich jenes Kriegsross, jene blutgetränkte und siegreiche Frame. Denn Gastmähler und reichliche, wenn auch schmucklose, Zurüstungen zählen als Sold. Mittel für die Großzügigkeit kommen durch Kriege und Raube. Und man überredet sie nicht so leicht, die Erde zu pflügen oder das Jahr abzuwarten, wie den Feind herauszufordern und Wunden zu verdienen. Ja vielmehr faul und träge scheint es, mit Fleiß zu erwerben, was man mit Blut beschaffen kann.


15. Lebensweise zu Friedenszeiten


[15] Quotiens bella non ineunt, non multum venatibus, plus per otium transigunt, dediti somno ciboque, fortissimus quisque ac bellicosissimus nihil agens, delegata domus et penatium et agrorum cura feminis senibusque et infirmissimo cuique ex familia; ipsi hebent, mira diversitate naturae, cum idem homines sic ament inertiam et oderint quietem. Mos est civitatibus ultro ac viritim conferre principibus vel armentorum vel frugum, quod pro honore acceptum etiam necessitatibus subvenit. Gaudent praecipue finitimarum gentium donis, quae non modo a singulis, sed et publice mittuntur: electi equi, magna arma, phalerae torquesque; iam et pecuniam accipere docuimus.

[15] So oft sie nicht Kriege eingehen, bringen sie nicht viel mit Jagen, mehr mit Nichtstun, dem Schlafe und Essen ergeben, zu. Alle Tapfersten und Kriegerischten tun nichts, wobei die Sorge um das Haus, das Hauswesen und die Felder den Frauen und Alten sowie allen Unkräftigsten aus dem Gesinde aufgetragen ist; sie selbst sind untätig, in einem sonderbaren Widerspruch ihres Wesens, da dieselben Menschen Trägheit derart lieben und Ruhe hassen. Den Gemeinden ist es Sitte, von selbst und Mann für Mann den Oberhäuptern entweder etwas an Vieh oder an Früchten darzubringen, was als Ehrengabe entgegengenommen auch den notwendigen Bedürfnissen abhilft. Besonders freuen sie sich über Geschenke benachbarter Völker, die nicht bloß von Einzelnen, sondern auch auf Geheiß ihres Stammes gesendet werden: auserlesene Pferde, gewaltige Waffen, Brustschmuck und Halsketten; nun haben wir sie auch gelehrt, Geld anzunehmen.



Anmerkungen und Hilfen


[6]
distinguunt : hier meint es unterscheidend etw. ausschmücken, verzieren
agunt dextros (equos) : prädikativ sie treiben die Pferde „als rechte“ (= nach rechts)
aestimanti : Dat. respectus, cf. Tac. Agr. 10 transgressis; 11 aestimanti
consilii quam formidinis arbitrantur : Genitivus pretii

[8]
monstrata comminus captivitate : hier als dominantes Partizip betrachtet
loco : seltene Verwendungsweise mit Genitiv: anstatt, für, wie (~ am Platze von)
tamquam facerent : hypothetischer Vergleichssatz; der Konj. Imp. Zur Angabe der Gleichzeitigkeit zu venerati sunt. Im Deutschen wird in diesen Sätzen der Irrealis gebraucht, da der Vergleich nur angenommen [hypothetisch] ist.

[9]
advectam religionem : prädikatives Partizip; den Kult „als herbeigefahrenen“ lehren. Auch eine Auffassung als dominantes Partizip ist möglich.

[10]
mox… : dieser undurchsichtige Satz soll hier aufgeschlüsselt werden:

HSNS
Mox,
si publice consultetur,
sacerdos civitatis (precatus deos…tollit…interpretatur),
sin privatim (consultetur),
ipse pater familiae precatus deos caelumque suspiciens ter singulos tollit, sublatos secundum impressam ante notam interpretatur.

Die gesamte Orakel-Handlung wird also entweder vom Priester oder vom Hausvater vorgenommen. Bei den Konjunktiven handelt es sich um coniunctivi potentiales.

[12]
diversitas illuc respicit, tamquam : die Verschiedenheit „schaut dahin zurück, dass (weil) angeblich“; das tamquam wird benutzt, um eine fremde Ansicht (nämlich die der Germanen) wiederzugeben, daher auch der oblique Konjunktiv „oporteat“.
qui vindicatur : vindicare hier "rächen" (aus venum und dicare, daher eig. "den Preis nennen", für den jemand von seiner Schuld erlöst wird)

[13]
moris est = mos est (moris est erklärt sich als Genitivus possessivus in übertragener Bedeutung)
ipso concilio : dient als Rückbezug auf Kapitel 12, welches sich mit der Volksversammlung der Germanen befasst.

[14]
superstitem principi : principi hängt von superstitem ab, das hier mit dem Dativ steht; „seinen Führer überlebend“ meint, dass man selbst überlebt, während der Führer im Kampf fällt. Darin besteht die Schmach. Das bekräftigt auch der nachfolgende Satz.

[15]
vel armentorum vel frugum : diese (partitiven Genitive) gehören zu einem ausgelassenen Bezugswort, welches aliquid sein könnte.
publice : eine Übersetzung mit öffentlich oder von Staats wegen macht hier keinen Sinn. Gemeint ist sicherlich, dass die Geschenke im Namen eines ganzen Stammes gesendet werden.



Imperator


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