Cicero - Oratio Philippica tertia - Dritte Philippische Rede gegen Antonius - Deutsche Übersetzung [Kap. 1-15]


Oratio Philippica prima - Dritte Philippische Rede [Kap. 1-15]



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Übersetzung nach M. Wollschläger


1.


[1] Serius omnino, patres conscripti, quam tempus rei publicae postulabat, aliquando tamen convocati sumus, quod flagitabam equidem cotidie, quippe cum bellum nefarium contra aras et focos, contra vitam fortunasque nostras ab homine profligato ac perdito non comparari, sed geri iam viderem. Expectantur Kalendae Ianuariae; quas non expectat Antonius, qui in provinciam D. Bruti, summi et singularis viri, cum exercitu impetum facere conatur; ex qua se instructum et paratum ad urbem venturum esse minitatur.


[1] Durchaus später, werte Senatoren, als die Umstände des Staates es forderten, wurden wir dennoch endlich zusammengerufen; dies forderte ich jedenfalls täglich, weil ich sah, dass ein frevelhafter Krieg gegen unsere Altäre und Herdfeuer, gegen unser Leben und unsere Besitztümer von einem ruchlosen und verdorbenen Menschen nicht vorbereitet, sondern schon geführt wurde. Man wartete auf den 1. Januar, auf den Antonius nicht wartete, der versuchte, die Provinz des Decimus Brutus, eines sehr angesehenen und ausgezeichneten Mannes, mit einem Heer anzugreifen; aus dieser droht er, dass er ausgerüstet und entschlossen nach Rom kommen wird.

2.


[2] Quae est igitur expectatio aut quae vel minimi dilatio temporis? Quamquam enim adsunt Kalendae Ianuariae, tamen breve tempus longum est inparatis. Dies enim adfert vel hora potius, nisi provisum est, magnas saepe clades; certus autem dies non ut sacrificiis, sic consiliis expectari solet. Quodsi aut Kalendae Ianuariae fuissent eo die, quo primum ex urbe fugit Antonius, aut eae non essent expectatae, bellum iam nullum haberemus. Auctoritate enim senatus consensuque populi Romani facile hominis amentis fregissemus audaciam. Quod confido equidem consules designatos, simul ut magistratum inierint, esse facturos; sunt enim optimo animo, summo consilio, singulari concordia. Mea autem festinatio non victoriae solum avida est, sed etiam celeritatis.


[2] Was soll das Warten oder was soll der Aufschub der noch so wenigen Zeit? Denn obwohl der 1. Januar noch bevorsteht, ist dennoch eine kurze Zeit für unvorbereitete Menschen lang. Denn der Tag oder vielmehr eine Stunde führt, wenn keine Vorkehrungen getroffen wurden, oft großes Unheil herbei; man wartet jedoch gewöhnlich zwar bei Opferfeiern, aber nicht bei politischen Beratungen einen bestimmten Tag ab. Wenn nun entweder der 1. Januar (schon) gewesen wäre, an dem Tag, als Antonius zuerst aus der Stadt floh, oder der 1. Januar nicht erwartet worden wäre, hätten wir jetzt keinen Krieg. Wir hätten nämlich durch die Befehlsgewalt des Senats und durch die Übereinstimmung des römischen Volkes leicht die Frechheit dieses wahnsinnigen Menschen gebrochen. Ich jedenfalls vertraue darauf, dass die designierten Konsuln dies, sobald sie das Amt angetreten haben, machen werden; sie sind größten Mutes, von höchster Einsicht, von außerordentlicher Eintracht. Meine Ungeduld jedoch ist nicht nur gierig nach einem Sieg, sondern auch nach Schnelligkeit.

3.


[3] Quo enim usque tantum bellum, tam crudele, tam nefarium privatis consiliis propulsabitur? cur non quam primum publica accedit auctoritas? C. Caesar adulescens, paene potius puer, incredibili ac divina quadam mente atque virtute, [tum,] cum maxime furor arderet Antoni, cumque eius a Brundisio crudelis et pestifer reditus timeretur, nec postulantibus nec cogitantibus, ne optantibus quidem nobis, quia non posse fieri videbatur, firmissimum exercitum ex invicto genere veteranorum militum comparavit patrimoniumque suum ecfudit; quamquam non sum usus eo verbo, quo debui; non enim ecfudit; in rei publicae salute conlocavit.



[3] Denn wie lange wird man einen solchen Krieg, einen so grausamen, so frevelhaften durch private Initiativen abhalten? Warum tritt nicht so schnell wie möglich eine staatliche Unterstützung hinzu? Gaius Caesar, ein junger Mann, beinahe vielmehr ein Junge, von unglaublichem und gewissem göttlichen Gemüt und mit Tapferkeit, stellte, als der Wahnsinn des Antonius besonders brannte und als man die grausame und todbringende Rückkehr dessen von Brundisium fürchtete, ohne dass wir es forderten oder daran dachten oder es jedenfalls wünschten, weil es schien, dass es nicht gemacht werden kann, ein sehr starkes Heer aus dem unbesiegbaren Stand altgedienter Soldaten und verschwendete sein Erbvermögen: allerdings habe ich nicht das Wort gebraucht, das ich hätte gebrauchen müssen. Denn er verschwendete es nicht: er hat es aufgewendet für das Wohl des Staates.





4.


[4] Cui quamquam gratia referri tanta non potest, quanta debetur, habenda tamen est tanta, quantam maximam animi nostri capere possunt. Quis enim est tam ignarus rerum, tam nihil de re publica cogitans, qui hoc non intellegat, si M. Antonius a Brundisio cum iis copiis, quas se habiturum putabat, Romam, ut minabatur, venire potuisset, nullum genus eum crudelitatis praeteriturum fuisse? quippe qui in hospitis tectis Brundisi fortissimos viros optimosque civis iugulari iusserit; quorum ante pedes eius morientium sanguine os uxoris respersum esse constabat. Hac ille crudelitate imbutus, cum multo bonis omnibus veniret iratior, quam illis fuerat, quos trucidarat, cui tandem nostrum aut cui omnino bono pepercisset?


[4] Obwohl man ihm nicht so viel Dank zurückgeben kann, wie man ihm schuldet, muss man dennoch so sehr dankbar sein, wie unsere Herzen am meisten ergreifen können. Wer wäre nämlich so unwissend, so nichts über den Staat denkend, dass er dies nicht bemerken würde, nämlich dass, wenn Marcus Antonius von Brundisium mit den Truppen, die er künftig zu haben glaubte, nach Rom, wie er drohte, hätte kommen können, er keine Art von Grausamkeit vorübergehen lassen hätte? Ja dieser hat im Haus des Gastfreundes in Brundisium befohlen, sehr tapfere Männer und sehr gute Bürger zu töten; es war bekannt, dass das Gesicht seiner Ehefrau mit der Blut der derer, die vor dessen Füßen starben, bespritzt wurde. Wen von uns eigentlich oder welchen Guten überhaupt hätte jener, der mit dieser Grausamkeit befleckt ist, verschont, wobei er allen Guten weitaus zorniger gekommen wäre als er jenen gegenüber gewesen war, die er umgebracht hatte.

5.


[5] Qua peste privato consilio rem publicam (neque enim fieri potuit aliter) Caesar liberavit. Qui nisi in hac re publica natus esset, rem publicam scelere Antoni nullam haberemus. Sic enim perspicio, sic iudico, nisi unus adulescens illius furentis impetus crudelissimosque conatus cohibuisset, rem publicam funditus interituram fuisse. Cui quidem hodierno die, patres conscripti (nunc enim primum ita convenimus, ut illius beneficio possemus ea, quae sentiremus, libere dicere) tribuenda est auctoritas, ut rem publicam non modo a se susceptam, sed etiam a nobis commendatam possit defendere.


[5] Von dieser Pest befreite Caesar den Staat – denn anders hätte es nicht gemacht werden können – durch seinen privaten Entschluss: Wenn dieser nicht in diesen Staat hineingeboren wäre, hätten wir aufgrund der Verruchtheit des Antonius keinen Staat mehr. Denn so nehme ich es wahr, so urteile ich, dass, wenn nicht ein einziger junger Mann die Angriffe jenes Wahnsinnigen und die sehr grausamen Versuche aufgehalten hätte, der Staat von Grund auf zugrunde gegangen wäre. Ihm jedenfalls muss, werte Senatoren, - denn heute sind wir zum ersten Mal so zusammengekommen, dass wir durch dessen Wohltat die Dinge, die wir denken, frei äußern können – die Vollmacht erteilt werden, damit er den Staat nicht nur von sich auf sich genommen, sondern auch von uns anvertraut verteidigen kann.

6.


[6] Nec vero de legione Martia, quoniam longo intervallo loqui nobis de re publica licet, sileri potest. Quis enim unus fortior, quis amicior umquam rei publicae fuit quam legio Martia universa? Quae cum hostem populi Romani Antonium iudicasset, comes esse eius amentiae noluit; reliquit consulem; quod profecto non fecisset, si eum consulem iudicasset, quem nihil aliud agere, nihil moliri nisi caedem civium atque interitum civitatis videret. Atque ea legio consedit Albae. Quam potuit urbem eligere aut oportuniorem ad res gerundas aut fideliorem aut fortiorum virorum aut amiciorum rei publicae civium?



[6] Auch über die Marslegion kann man nicht schweigen, weil es nach langer Unterbrechung erlaubt ist, über den Staat zu sprechen. Denn welcher einzelne war tapferer, welcher war dem Staat jemals geneigter als die gesamte Marslegion? Weil sie Antonius für einen Feind des römischen Volkes gehalten hatte, wollte sie nicht Begleiterin seines Wahnsinns sein: Sie verließ den Konsul; dies hätte sie in der Tat nicht getan, wenn sie denjenigen für einen Konsul gehalten hätte, von dem sie sehen, dass er nichts anderes tut, nichts unternimmt außer Mord an Bürgern und die Vernichtung der Bürgerschaft. Und diese Legion ließ sich in Alba nieder. Konnte sie eine Stadt auswählen, die entweder günstiger wäre, um die die Angelegenheit auszutragen oder treuer oder eine, die tapferere Männer beheimatet oder deren Bürger dem Staat geneigter sind?




Anmerkungen und Hilfen



[5]

cum multo bonis omnibus veniret iratior : das cum gibt einen zeitlichen Nebenumstand an, der die übergeordnete Handlung weiter erklärt [cum-explicativum]





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