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31.05.2013 von Imperator

Wie übersetze ich am besten einen lateinischen Satz ins Deutsche?

Viele Schüler, Studenten und Hobbylatinisten stellen sich diese Frage. Lehrende fragen sich eher, welche Strategie(n) sie ihren Schülern denn nun nahelegen. Dabei hängt die Beantwortung der Frage eng mit den Präferenzen des Lehrenden zusammen: Der eine schlägt vor, Wort für Wort zu übersetzen, um sich zunächst einen semantischen Überblick zu verschaffen. Anschließend folgt die Zordnung und Umstellung der Wörter, sodass ein korrekter deutscher Satz entsteht. Der andere geht syntaktisch vor, d.h. er analysiert die Worte in Hinblick auf ihre Funktion im Satz. Er wird zunächst nach dem Grundgerüst des Satzes, nach Subjekt und Prädikat, suchen. Daraufhin wird nach Objekten, adverbialen Bestimmungen und anderen Satzgliedern gesucht. Ein dritter Lehrer geht vom Groben zum Kleinen, d.h. zunächst wird sich ein Gesamtüberblick des Satzgefüges - sofern vorhanden - verschafft, Nebensätze werden bestimmt und klassifiziert, Partizipialkonstruktionen eingeklammert usw. Was der eine weiß, weiß der andere besser. Jeder gibt sein System zum Besten und drängt womöglich etwas auf, was u. U. überhaupt nicht hilfreich ist.
Tatsächlich gibt es kein Allheilmittel für das Übersetzen. Es gibt keine ultimative Übersetzungsstrategie. Wie man am besten übersetzt, richtet sich zunächst einmal nach der eigenen Vorliebe, seinem Kenntnisstand bzw. seiner Erfahrung. Im Weiteren hängt es von der Gattung (im Allgemeinen: Dichtung oder Prosa; im Speziellen: Epos, Lehrgedicht, Fabel usw. oder Geschichtsschreibung, Rede, Roman, Brief usw.), dem Autor und dem Schwierigkeitsgrad des Textes ab.

Selbst wenn man die Grammatik in und auswendig kennt, ist das zwar eine gute Voraussetzung, doch kein Garant für das Gelingen einer guten Übersetzung. Genauso verhält es sich mit den Vokabeln. Oftmals verwenden Autoren - je nach Kontext - Vokabeln teils stark abweichend von ihrer Grundbedeutung. Hier kann ein autorspezifisches Wörterbuch sehr hilfreich sein. Wenn man allerdings nicht ständig nachschlagen will, braucht es ein gutes Sprachgefühl. Das wiederum kann nur durch extensive und intensive Lektüre heranreifen. Man muss sich immer erst eine Zeit lang in einen Autor und dessen Stil einlesen. Nach dreißig bis fünfzig Seiten hat man meistens den Dreh raus. Dabei kann es hilfreich sein, sich mittels Sekundärliteratur, Informationen zur Stilistik des Autors, zum geschichtlichen oder mythologischen Kontext eines Werkes zu verschaffen. Wer schon mal mehrere Werke von ein und demselben Autor gelesen hat, wird feststellen, dass selbst diese sich in Wort- und Phrasenwahl - auch bei inhaltlicher Kongruenz - teils stark unterscheiden können. Besonders ist dies der Fall, wenn längere Zeitspannen zwischen den Werken liegen. Die antiken Autoren selbst haben während ihres literarischen Werdegangs dazugelernt - genauso, wie du es mit der Zeit als Übersetzer tun wirst.

Letztlich ist eine gute Übersetzung immer auch durch die Interpretationsfähigkeit des Übersetzers bedingt. Ein Text kann nicht übersetzt werden, ohne dass er zugleich interpretiert wird. Wörter stehen in einem grammatischen und zugleich auch immer in einem semantischen Zusammenhang. Das Ziel einer Übersetzung kann es demnach nicht sein, Wörter aneinanderzureihen, die zwar grammatikalisch in korrekter Beziehung stehen, aber in ihrer inhaltlichen Aussage als Ganzes überhaupt keinen Sinn ergeben. In diesem Zusammenhang muss sich auch gefragt werden, inwiefern man die durch Auswahl und Formation der Wörter geschaffene Stimmung eines Textes übertragen will - oder muss. Sowohl bei Prosaikern als auch bei Dichtern - insbesondere bei den Meistern, wie Cicero, Caesar, Tacitus, Horaz, Vergil und Ovid - kann man davon ausgehen, dass die Wortwahl und -positionierung in beinahe jedem Satz wohlüberdacht ist und es Gründe dafür gibt, warum die Wörter so stehen, wie sie stehen.

Anmerkung: Dieser Artikel wird noch fortgesetzt.


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