Übersetzungen - Ovid
Ovid - Metamorphosen - liber primus - Verse 151-415 - Deutsche Übersetzung
21.01.2015 - 11:57

Ovid Metamorphosen I - Verse (151-415)



[151-162] Die Giganten
[163-252] Lycaon
[253-312] Die Sintflut
[313-415] Deukalion und Pyrrha


Anmerkungen und Hilfen zur Übersetzung [151-252]
Anmerkungen und Hilfen zur Übersetzung [253-312]
Anmerkungen und Hilfen zur Übersetzung [313-415]


Verse 151-162 - Die Giganten






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Neve foret terris securior arduus aether,
adfectasse ferunt regnum caeleste gigantas
altaque congestos struxisse ad sidera montis.
Tum pater omnipotens misso perfregit Olympum
fulmine et excussit subiecto Pelion Ossae.
obruta mole sua cum corpora dira iacerent,
perfusam multo natorum sanguine Terram
immaduisse ferunt calidumque animasse cruorem
et, ne nulla suae stirpis monimenta manerent,
in faciem vertisse hominum; sed et illa propago
contemptrix superum saevaeque avidissima caedis
et violenta fuit: scires e sanguine natos.


Und damit der steile Äther nicht sei sicherer als die Lande, haben gemäß der Erzählung die Giganten nach dem himmlischen Reiche getrachtet und schichteten zusammengetragene Berge bis zu den hohen Sternen auf.
Dann hat der allmächtige Vater durch einen herabgeschickten Blitz den Olymp durchbrochen und dem untergefügten Ossa den Pelion entrissen.
Als begraben von ihrem eigenen Werk die hässlichen Körper da lagen, soll die Erde, durchtränkt mit dem vielen Blut ihrer Söhne, feuch geworden sein und das noch warme Blut beseelt und, damit Andenken an ihre Nachkommenschaft blieben, in die Gestalt von Menschen verwandelt haben; aber auch jene Nachkommenschaft war eine Verächterin der Götter und höchst erpicht auch wildes Gemetzel und gewalttätig: man hätten sehen können, dass sie aus Blut geboren waren.




Verse 163-252 - Schaffung des Menschen




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Quae pater ut summa vidit Saturnius arce,
ingemit et facto nondum vulgata recenti
foeda Lycaoniae referens convivia mensae
ingentes animo et dignas Iove concipit iras
conciliumque vocat: tenuit mora nulla vocatos.
Est via sublimis, caelo manifesta sereno;
lactea nomen habet, candore notabilis ipso.
Hac iter est superis ad magni tecta Tonantis
regalemque domum: dextra laevaque deorum
atria nobilium valvis celebrantur apertis.
Plebs habitat diversa locis: hac parte potentes
caelicolae clarique suos posuere penates;
hic locus est, quem, si verbis audacia detur,
haud timeam magni dixisse Palatia caeli.
Ergo ubi marmoreo superi sedere recessu,
celsior ipse loco sceptroque innixus eburno
terrificam capitis concussit terque quaterque
caesariem, cum qua terram, mare, sidera movit.
Talibus inde modis ora indignantia solvit:
'non ego pro mundi regno magis anxius illa
tempestate fui, qua centum quisque parabat
inicere anguipedum captivo bracchia caelo.
Nam quamquam ferus hostis erat, tamen illud ab uno
corpore et ex una pendebat origine bellum;
nunc mihi, qua totum Nereus circumsonat orbem,
perdendum est mortale genus: per flumina iuro
infera sub terras Stygio labentia luco!
Cuncta prius temptanda, sed inmedicabile cura
ense recidendum, ne pars sincera trahatur.
Sunt mihi semidei, sunt, rustica numina, nymphae
faunique satyrique et monticolae silvani;
quos quoniam caeli nondum dignamur honore,
quas dedimus, certe terras habitare sinamus.
An satis, o superi, tutos fore creditis illos,
cum mihi, qui fulmen, qui vos habeoque regoque,
struxerit insidias notus feritate Lycaon?'
Confremuere omnes studiisque ardentibus ausum
talia deposcunt: sic, cum manus inpia saevit
sanguine Caesareo Romanum exstinguere nomen,
attonitum tantae subito terrore ruinae
humanum genus est totusque perhorruit orbis;
nec tibi grata minus pietas, Auguste, tuorum
quam fuit illa Iovi. Qui postquam voce manuque
murmura conpressit, tenuere silentia cuncti.
Substitit ut clamor pressus gravitate regentis,
Iuppiter hoc iterum sermone silentia rupit:

'Ille quidem poenas (curam hanc dimittite!) solvit;
quod tamen admissum, quae sit vindicta, docebo.
Contigerat nostras infamia temporis aures;
quam cupiens falsam summo delabor Olympo
et deus humana lustro sub imagine terras.
Longa mora est, quantum noxae sit ubique repertum,
enumerare: minor fuit ipsa infamia vero.
Maenala transieram latebris horrenda ferarum
et cum Cyllene gelidi pineta Lycaei:
Arcados hinc sedes et inhospita tecta tyranni
ingredior, traherent cum sera crepuscula noctem.
Signa dedi venisse deum, vulgusque precari
coeperat: inridet primo pia vota Lycaon,
mox ait "experiar deus hic discrimine aperto
an sit mortalis: nec erit dubitabile verum."
nocte gravem somno necopina perdere morte
comparat: haec illi placet experientia veri;
nec contentus eo, missi de gente Molossa
obsidis unius iugulum mucrone resolvit
atque ita semineces partim ferventibus artus
mollit aquis, partim subiecto torruit igni.
Quod simul inposuit mensis, ego vindice flamma
in domino dignos everti tecta penates;
territus ipse fugit nactusque silentia ruris
exululat frustraque loqui conatur: ab ipso
colligit os rabiem solitaeque cupidine caedis
vertitur in pecudes et nunc quoque sanguine gaudet.
In villos abeunt vestes, in crura lacerti:
fit lupus et veteris servat vestigia formae;
canities eadem est, eadem violentia vultus,
idem oculi lucent, eadem feritatis imago est.
Occidit una domus, sed non domus una perire
digna fuit: qua terra patet, fera regnat Erinys.
In facinus iurasse putes! dent ocius omnes,
quas meruere pati, (sic stat sententia) poenas.'

Dicta Iovis pars voce probant stimulosque frementi
adiciunt, alii partes adsensibus inplent.
Est tamen humani generis iactura dolori
omnibus, et, quae sit terrae mortalibus orbae
forma futura, rogant, quis sit laturus in aras
tura, ferisne paret populandas tradere terras.
Talia quaerentes (sibi enim fore cetera curae)
rex superum trepidare vetat subolemque priori
dissimilem populo promittit origine mira.


Sobald dies Vater Jupiter auf der Spitze seiner Burg bemerkt hatte, säufzte er und, während er an das grauenhafte Gastmahl am Tische Lycaons dachte, das wegen der Frische der Tat noch nicht allgemein bekannt war, fasste er in seinem Herzen einen gewaltigen und dem Jupiter würdigen Zorn und berief eine Versammlung ein: kein Verzug hielt die Einberufenen.
Es gibt eine Straße hoch oben, deutlich bei klarem Himmel zu erkennen; sie hat den Namen Milchstraße, erkennbar an ihrem weißen Schimmer.
Hier ist für die Götter der Weg zu den Dächern und der königlichen Behausung des großen Donnernden: Rechts und links strömte man durch offene Türen zu den Atrien der vornehmen Götter.
Das gemeine Volk wohnt weit entfernt davon: Auf diese Seite haben die mächtigen und angesehenen Himmelsbewohner ihre Häuser gestellt; dies ist ein Ort, den ich - wenn meinen Worten Kühnheit gestattet sein sollte - ohne Furcht Palatin des großen Himmels nennen würde.
Sobald sich also die Himmlischen im marmornen Gemach niedergelassen hatten - er selbst hatte einen erhöhten Platz und stützte sich auf ein Zepter aus Elfenbein - da schüttelte er sein Schrecken erregendes Kopfhaar dreimal und viermal, wodurch er Erde, Meer und Sterne erzittern ließ.
Daraufhin ließ er seinem Unmut auf solche Art freien Lauf: "Ich bin um die Weltherrschaft in jener Zeit, als jeder Schlangenfüßige sich anschickte, seine hundert Arme zum eroberten Himmel zu strecken, nicht besorgter gewesen.
Denn obgleich der Feind wild war, beruhte jener Krieg doch nur auf einem Verband und einem Ursprung; jetzt muss ich das sterbliche Geschlecht vernichten, wo Nereus den ganzen Erdkreis umspült: ich schwöre bei den Flüssen der Unterwelt, die unter dem stygischen Hain dahingleiten!
Vorher ist alles zu versuchen, doch das durch Pflege Unheilbare muss mit dem Schwerte herausgeschnitten werden, damit kein gesunder Teil in Mitleidenschaft gezogen wird.
Mir sind Halbgötter, sind ländliche Gottheiten, und zwar Nymphen, Faunen, Satyrn und bergbewohnende Silvane; weil wir diese der Ehre des Himmels noch nicht für würdig befinden, lassen wir sie doch wenigstens die Erde bewohnen, die wir ihnen gegeben haben.
Oder glaubt ihr etwa, o Götter, dass jene sicher sein werden, wenn mit mir, dem Blitzhalter und eurem Führer, der durch seine Wildheit berüchtigte Lycaon falsches Spiel getrieben hat?"
Alle murmelten im Einklang und forderten mit brennendem Interesse eine Bestrafung für denjenigen, der solches gewagt. So ist auch, als ruchlose Hände wüteten, den römischen Namen mit Caesars Blut auszulöschen, das menschliche Geschlecht vom Schreck eines so großen Unglücks in Stasis versetzt worden; und nicht weniger lieb ist dir die Treue der Deinigen, Augustus, als jene es dem Jupiter war. Nachdem dieser mit Stimme und Hand das Murmeln unterbunden hatte, bewahrten alle Stille.
Sowie das Geschrei, von der Macht des Herrschenden niedergedrückt, aufgehört hatte, brach Jupiter mit dieser Rede das Schweigen erneut:

"Freilich hat jener seine Strafe bekommen (sorgt euch nicht!); doch werd ich euch unterrichten, was er sich hat zu Schulden kommen lassen und was die Rache war.
Ein übles Gerücht dieser misslichen Zeit war zu unseren Ohren gelangt; wünschend dies sei falsch, schwebte ich vom Olympgipfel herab und durchwanderte als Gott unter dem Scheinbild eines Menschen die Erde.
Zu lang würd's dauern, aufzuzählen, wieviel Verbrechen ich überall gefunden hab': das Gerücht war weniger schlimm als die Wahrheit. Maenala, das Versteck schaudervoller Wildtiere, hatte ich durchschritten, und mit Cyllene die Fichtenwälder des eisigen Lycaeus: Darauf betrat ich Wohnsitz und ungastliches Haus des arkadischen Herrsches, als die späte Dämmerung die Nacht nachführte.
Ich gab Zeichen, dass ein Gott gekommen war, und die Menge hatte schon zu beten angefangen: Lycaon verlachte zunächst die frommen Gebete, dann sagte er: "Ich will mit einem klaren Test herausfinden, ob dieser ein Gott oder ein Sterblicher ist: und das Wahre wird nicht mehr zweifelhaft sein." Nachts, trunken vom Schlafe, wollte er unvermuteten Todes mich niedermachen - diese Art von Wahrheitserprobung gefällt ihm - und nicht zufrieden damit, schnitt er die Kehle einer Geisel, die vom molossischem Volke gesendet, mit einem Messer durch und kochte nun die noch zuckenden Glieder teils in siedendem Wasser, teils röstete er sie über dem Feuer.
Sobald er diese auf den Tisch gestellt hatte, ließ ich mit rächendem Feuerblitz das Dach auf die ihrem Herren entsprechenden Penaten krachen; er selbst floh erschreckt und zur Stille des gelangt heulte er auf und versucht vergeblich zu sprechen: Von ihm selbst sammelt Wut der Mund und mit der gewohnten Mordgier wendet er sich den Schafen zu und ergötzt sich auch jetzt noch am Blute.
Seine Kleidung verwandelt sich zu zottigem Haar, seine Arme zu Beinen: Er wird zum Wolf und doch bewahrt er Spuren seiner alten Gestalt; dasselbe graue Haar, derselbe gewalttäige Gesichtsausdruck, dieselben leuchtenden Augen, dieselbe wilde Erscheinung.
Ein Haus ist eingestürzt, doch war nicht ein Haus allein des Unterganges würdig: Wo die Erde sich erstreckt, herrscht die rasende Erinys.
Du möchtest glauben, man habe sich zum Verbrechen verschworen! Auf der Stelle sollen alle die Strafen zahlen, die sie verdienen - mein Entschluss steht fest."

Ein Teil bejaht Jupiters Worte mit der Stimme und stachelt den Zürnenden noch weiter an, andere erfüllen sie mit Beifallszeichen.
Doch allen gereicht der Verlust des Menschengeschlechts zum Schmerze, und sie fragen sich, wie die Erde ohne Menschen aussehen wird, wer zu den Altären Weihrauchen bringen wird, ob er wohl den wilden Tieren die Erde zur Verwüstung überlassen will.
Den solches Fragenden verbat der König der Götter sich zu ängstigen (er werde sich schon selbst darum kümmern) und verspricht eine Nachkommenschaft, unähnlich dem früheren Volke, von wunderbarem Ursprung.




Anmerkungen und Hilfen zur Übersetzung

(152) adfectasse ferunt regnum caeleste gigantas : zum Gigantenmythos cf. Ov. Am. 2, 1; Apollodorus Bibliotheke 1, 6, 1-2
(154) Olympum : die Rede ist vom Berg in Griechenland
(155) excussit subiecto Pelion Ossae : Zeugma, Pelion wird als Akkusativ-Objekt von excussit und sinngemäß auch als Dativ-Objekt zu subiecto benötigt; Ossae ist nur hier maskulin
(162) scires : potentialer Konjunktiv der Vergangenheit



(164) facto (...) recenti : Abl. abs. oder Abl. causae / instrumenti
(165) referens : hier "berücksichtigen", im Dt. gut mit "in Anbetracht" wiederzugeben
(166) ingentes animo et dignas Iove concipit iras : ingentes gehört zu iras (Hyperbaton); animo ist Abl. loci oder instrumenti
(169) lactea nomen habet : lactea ist Nominativ und prädikativ gebraucht (nomen habet = nominatur) mit via als Subjekt; ungewöhnliche Konstruktion
(171-172) dextra laevaque deorum / atria nobilium valvis celebrantur apertis : dextrā laevāque (Abl. sc. manu); celebrare = "zahlreich besuchen"; valvis apertis ist wohl qualitativer Ablativ zu atria "Atrien mit offenen Türen"
(173) diversa locis : sc. atria; locis ist Abl. separationis (sc. atriis nobilium)
(178) celsior ipse loco sceptroque innixus eburno : loco ist Abl. limitationis in Abhängigkeit von celsior; das Lateinische hat bei niti eine instrumentale Auffassung; Deponenzien haben im (morphologischen) PPP häufig gleichzeitige Bedeutung
(184) captivo (...) caelo : Prolepsis
(197-198) cum (...) / struxerit : temporal, auch konzessiv gefärbt
(202-203) attonitum (...) / humanum genus est : eig. "das menschliche Geschlecht ist angedonnert (worden)" ~ "in Schock, Starre, Stasis etc. versetzt (worden)"



(214-215) Longa mora est (...) / enumerare : Modusdiskrepanz zwischen Dt. und Lat., s. Konjunktiv im Deutschen, Punkt "Irreale Aussagen mit Hilfsverben"
(216) latebris horrenda ferarum : schaudervoll / wegen des Versteckes wilder Tiere / weil es ein Versteck wilder Tiere ist; horrenda mag man als Enallage auffassen und auf ferarum inhaltlich ziehen
(218) Arcados hinc sedes et inhospita tecta tyranni : Hen dia dyoin [Wohnstätte des Arkadiers und ungastliches Haus (= Metonymie, pars pro toto) des Herrsches]; Arcados ist griech. Genitiv
(222-223) experiar deus hic discrimine aperto / an sit mortalis : das utrum fehlt vor deus (geschieht häufiger bei disjunktiver Doppelfrage); discrimen hier das Mittel zur Entscheidung, daher "Test, Experiment, Probe"
(231) in domino dignos everti tecta penates : disp. tecta in penates domino dignos everti; Penaten, die eines solchen Herren (= Lycaon) würdig sind, müssen auch mit dem Haus zu Grunde gehen
(233) ab ipso : sc. Lycaon; denn er übertrug seine Raserei als Mensch auf die des Wolfes
(241) Erinys : metonymisch für alles schlechte
(242) putes! dent : potentialer und iussiver Konjunktiv



(249) paret : von parare (+ Infinitiv), nicht von parere, welches als Indikativ in der indirekten Frage ohnehin falsch wäre
(252) origine mira : Ablativus qualitatis




Verse 252-312 - Die Sintflut




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Iamque erat in totas sparsurus fulmina terras;
sed timuit, ne forte sacer tot ab ignibus aether
conciperet flammas longusque ardesceret axis:
esse quoque in fatis reminiscitur, adfore tempus,
quo mare, quo tellus correptaque regia caeli
ardeat et mundi moles operosa laboret.
tela reponuntur manibus fabricata cyclopum;
poena placet diversa, genus mortale sub undis
perdere et ex omni nimbos demittere caelo.

Protinus Aeoliis Aquilonem claudit in antris
et quaecumque fugant inductas flamina nubes
emittitque Notum. madidis Notus evolat alis,
terribilem picea tectus caligine vultum;
barba gravis nimbis, canis fluit unda capillis;
fronte sedent nebulae, rorant pennaeque sinusque.
Utque manu lata pendentia nubila pressit,
fit fragor: hinc densi funduntur ab aethere nimbi;
nuntia Iunonis varios induta colores
concipit Iris aquas alimentaque nubibus adfert.
Sternuntur segetes et deplorata coloni
vota iacent, longique perit labor inritus anni.
Nec caelo contenta suo est Iovis ira, sed illum
caeruleus frater iuvat auxiliaribus undis.
Convocat hic amnes: qui postquam tecta tyranni
intravere sui, 'non est hortamine longo
nunc' ait 'utendum; vires effundite vestras:
Sic opus est! Aperite domos ac mole remota
fluminibus vestris totas inmittite habenas!'
Iusserat; hi redeunt ac fontibus ora relaxant
et defrenato volvuntur in aequora cursu.
Ipse tridente suo terram percussit, at illa
intremuit motuque vias patefecit aquarum.
Exspatiata ruunt per apertos flumina campos
cumque satis arbusta simul pecudesque virosque
tectaque cumque suis rapiunt penetralia sacris.
Si qua domus mansit potuitque resistere tanto
indeiecta malo, culmen tamen altior huius
unda tegit, pressaeque latent sub gurgite turres.
Iamque mare et tellus nullum discrimen habebant:
omnia pontus erant, deerant quoque litora ponto.
Occupat hic collem, cumba sedet alter adunca
et ducit remos illic, ubi nuper arabat:
ille supra segetes aut mersae culmina villae
navigat, hic summa piscem deprendit in ulmo.
Figitur in viridi, si fors tulit, ancora prato,
aut subiecta terunt curvae vineta carinae;
et, modo qua graciles gramen carpsere capellae,
nunc ibi deformes ponunt sua corpora phocae.
Mirantur sub aqua lucos urbesque domosque
Nereides, silvasque tenent delphines et altis
incursant ramis agitataque robora pulsant.
Nat lupus inter oves, fulvos vehit unda leones,
unda vehit tigres; nec vires fulminis apro,
crura nec ablato prosunt velocia cervo,
quaesitisque diu terris, ubi sistere possit,
in mare lassatis volucris vaga decidit alis.
Obruerat tumulos inmensa licentia ponti,
pulsabantque novi montana cacumina fluctus.
Maxima pars unda rapitur; quibus unda pepercit,
illos longa domant inopi ieiunia victu.


Und schon war er im Begriffe, Blitze in die ganze Welt zu schleudern; aber er fürchtete, dass der heilige Äther von so vielen Blitzstrahlen womöglich Feuer fange und die lange Achse in Brand gerate: Er erinnert sich, auch im Buche des Schicksals stehe, dass eine Zeit kommen werde, in der das Meer, die Erde und die Himmelsburg, von Feuer erfasst, auflodern und der kunstvolle Weltbau in Gefahr sei.
Die von Zyklopenhand geschmiedeten Geschosse werden zurückgelegt; ihm beliebt die entgegengesetzte Strafe, nämlich das Menschengeschlecht in Fluten zu ertränken und vom ganzen Himmel aus Regenwolken herabzusenden.

Sofort schließt er den Nordwind in die Höhlen des Aeolus ein und alle Winde, die aufgezogene Wolken vertreiben, und lässt den Südwind hinaus. Mit nassen Flügeln flog der Südwind davon, sein schreckliches Gesicht mit pechschwarzer Finsternis bedeckt; voll mit Regenwolken ist sein Bart, Wasser fließt aus seinen weißen Haaren; an seiner Stirn lagert Nebel, von Tau triefen Flügel und Brust.
Sowie er mit seiner breiten Hand das hängende Gewölk zusammgepresst hatte, gab es ein Krachen: Darauf ergossen sich dichte Regenschauer vom Himmel hinab; die Botin Junos, Iris, gehüllt in verschiedene Farben, sammelt Wasser und gibt es den Wolken als Nahrung.
Übderdeckt werden die Saaten und als unerfüllt beklagt liegen des Bauern Wünsche darnieder, verloren geht des langen Jahres nichtige Müh'.
Doch ist der Zorn Jupiters nicht mit seinem Himmel zufrieden - daher unterstützt sein blauer Bruder ihn mit helfenden Fluten.
Dieser ruft die Flussgötter zusammen: Nachdem sie ihres Gebieters Haus betreten hatten, sprach er: "Jetzt ist kein Raum für lange Ermunterung; lasst eure Kräfte fließen: so muss es sein! Öffnet eure Quellen und lasst gesprengten Dammes euren Flüssen sämtliche Zügel schießen!"
Er hatte befohlen; diese gehen zurück und weitern den Quellen ihre Münder, und sie wälzen sich in zügellosem Laufe gen Meer.
Er selbst durchstieß mit seinem Dreizack die Erde, jene erzittere und öffnete durch die Erschütterung ihren Wassern die Bahn.
Aus ihrer Bahn geraten, stürzen die Flüsse über offene Felder hinweg und nebst Saaten reißen sie zugleich Bäume, Vieh, Männer und Häuser mit sich und Tempel samt ihren Heiligtümern.
Falls irgendein Haus stehen geblieben ist und ohne niedergerissen zu werden einem so großen Übel trotzen konnte, so deckte doch eine höhere Welle dessen Dach, und unter die reißende Flut gedrückt verschwinden auch Türme.
Und schon unterschieden sich Meer und Erde nicht mehr voneinander: Alles war Meer, auch Strände fehlten dem Meer.
Der eine erklimmt einen Hügel, der andere sitzt auf einem gekrümmten Kahn und führt dort Ruder, wo er kürzlich noch pflügte: Jener segelt über Saaten oder Dächer versenkter Häuser, dieser fängt Fisch im Gipfel einer Ulme.
Auf grüner Wiese schlägt man, wenn der Zufall es herbeigeführt hat, den Anker ein oder Schiffskiele streifen unter ihnen liegende Weinpflanzungen; und da, wo sich eben noch schmächtige Ziegen ihr Gras abrupften, lagern nun unförmige Robben ihre Leiber hin.
Nereiden wundern sich unter Wasser über Haine, Städte und Häuser, und Delphine bewohnen Wälder, stoßen an hohe Äste an und schlagen an wankende Eichen.
Ein Wolf schwimmt zwischen Schafen, die Flut führt braungelbe Löwen, führt Tiger; und weder nützt dem Eber seine blitzartige Kraft, noch nützen dem fortgerissenen Hirsche seine schnellen Waden, und nachdem er lang nach Erde gesucht, wo er sich hinstellen kann, fällt der umherschweifende Vogel mit erschöpften Flügeln ins Meer hinab.
Die unermessliche Willkür des Meeres hatte die Hügel überdeckt, neue Fluten peitschten die Berggipfel.
Der größte Teil wird von der Flut hinfortgerissen; wen die Flut verschonte, bezwingt langwieriger Hunger bei spärlicher Kost.




Anmerkungen und Hilfen zur Übersetzung

(255) longusque ardesceret axis : pars pro toto (gemeint ist der ganze Himmel)
(257) correptaque regia : sc. ignibus



(263) et quaecumque fugant inductas flamina nubes : disp. et flamina quaecumque inductas nubes fugant
(265) tectus (...) vultum : tectus macht vultum als Acc. Graecus von sich abhängig
(269) funduntur : medial
(270) varios induta colores : cf. v. 265
(271) alimentaque nubibus adfert : sc. aquam, auf welches alimenta prädikativ zu ziehen ist
(272) deplorata : deplorare = "(als verloren) beweinen"
(279) Aperite domos : die Häuser der Flussgötter stehen metaphorisch für den Ursprung eines jeden Flusses
(279) mole remota : Abl. absolutus oder dominantes Partizip
(282) volvuntur : sc. flumina
(284) vias patefecit aquarum : eig. "sie öffnete Wasserbahnen"
(302-303) altis / incursant ramis : incurrere mit Richtungsdativ
(303) agitataque robora pulsant : entweder sind es die durch die Flut wankenden Eichen oder die Eichen wanken ebendadurch, dass die Delphine sie schlagen; dann wäre agitata proleptisch
(305) vires fulminis apro : fluminis ist qualitativ; "Kräfte von der Art eines Blitzes"
(306) ablato ... cervo : nämlich vom Wasser
(307) ubi sistere possit : finaler Relativsatz
(312) inopi ... victu : modaler Ablativ (Begleitumstand)



Verse 313-415 - Deukalion und Pyrrha




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Separat Aonios Oetaeis Phocis ab arvis,
terra ferax, dum terra fuit, sed tempore in illo
pars maris et latus subitarum campus aquarum.
Mons ibi verticibus petit arduus astra duobus,
nomine Parnasos, superantque cacumina nubes.
hic ubi Deucalion (nam cetera texerat aequor)
cum consorte tori parva rate vectus adhaesit,
Corycidas nymphas et numina montis adorant
fatidicamque Themin, quae tunc oracla tenebat:
non illo melior quisquam nec amantior aequi
vir fuit aut illa metuentior ulla deorum.
Iuppiter ut liquidis stagnare paludibus orbem
et superesse virum de tot modo milibus unum,
et superesse vidit de tot modo milibus unam,
innocuos ambo, cultores numinis ambo,
nubila disiecit nimbisque aquilone remotis
et caelo terras ostendit et aethera terris.
nec maris ira manet, positoque tricuspide telo
mulcet aquas rector pelagi supraque profundum
exstantem atque umeros innato murice tectum
caeruleum Tritona vocat conchaeque sonanti
inspirare iubet fluctusque et flumina signo
iam revocare dato: cava bucina sumitur illi,
tortilis in latum quae turbine crescit ab imo,
bucina, quae medio concepit ubi aera ponto,
litora voce replet sub utroque iacentia Phoebo;
tum quoque, ut ora dei madida rorantia barba
contigit et cecinit iussos inflata receptus,
omnibus audita est telluris et aequoris undis,
et quibus est undis audita, coercuit omnes.
iam mare litus habet, plenos capit alveus amnes,
flumina subsidunt collesque exire videntur;
surgit humus, crescunt sola decrescentibus undis,
postque diem longam nudata cacumina silvae
ostendunt limumque tenent in fronde relictum.
Redditus orbis erat; quem postquam vidit inanem
et desolatas agere alta silentia terras,
Deucalion lacrimis ita Pyrrham adfatur obortis:
'o soror, o coniunx, o femina sola superstes,
quam commune mihi genus et patruelis origo,
deinde torus iunxit, nunc ipsa pericula iungunt,
terrarum, quascumque vident occasus et ortus,
nos duo turba sumus; possedit cetera pontus.
Haec quoque adhuc vitae non est fiducia nostrae
certa satis; terrent etiamnum nubila mentem.
Quis tibi, si sine me fatis erepta fuisses,
nunc animus, miseranda, foret? Quo sola timorem
ferre modo posses? Quo consolante doleres?
Namque ego (crede mihi), si te quoque pontus haberet,
te sequerer, coniunx, et me quoque pontus haberet.
O utinam possim populos reparare paternis
artibus atque animas formatae infundere terrae!
nunc genus in nobis restat mortale duobus.
Sic visum superis: hominumque exempla manemus.'
dixerat, et flebant: placuit caeleste precari
numen et auxilium per sacras quaerere sortes.
nulla mora est: adeunt pariter Cephesidas undas,
ut nondum liquidas, sic iam vada nota secantes.
inde ubi libatos inroravere liquores
vestibus et capiti, flectunt vestigia sanctae
ad delubra deae, quorum fastigia turpi
pallebant musco stabantque sine ignibus arae.
Ut templi tetigere gradus, procumbit uterque
pronus humi gelidoque pavens dedit oscula saxo
atque ita 'si precibus' dixerunt 'numina iustis
victa remollescunt, si flectitur ira deorum,
dic, Themi, qua generis damnum reparabile nostri
arte sit, et mersis fer opem, mitissima, rebus!'
Mota dea est sortemque dedit: 'discedite templo
et velate caput cinctasque resolvite vestes
ossaque post tergum magnae iactate parentis!'
obstupuere diu: rumpitque silentia voce
Pyrrha prior iussisque deae parere recusat,
detque sibi veniam pavido rogat ore pavetque
laedere iactatis maternas ossibus umbras.
Interea repetunt caecis obscura latebris
verba datae sortis secum inter seque volutant.
Inde Promethides placidis Epimethida dictis
mulcet et 'aut fallax' ait 'est sollertia nobis,
aut (pia sunt nullumque nefas oracula suadent!)
magna parens terra est: lapides in corpore terrae
ossa reor dici; iacere hos post terga iubemur.'

Coniugis augurio quamquam Titania mota est,
spes tamen in dubio est: adeo caelestibus ambo
diffidunt monitis; sed quid temptare nocebit?
descendunt: velantque caput tunicasque recingunt
et iussos lapides sua post vestigia mittunt.
Saxa (quis hoc credat, nisi sit pro teste vetustas?)
ponere duritiem coepere suumque rigorem
mollirique mora mollitaque ducere formam.
Mox ubi creverunt naturaque mitior illis
contigit, ut quaedam, sic non manifesta videri
forma potest hominis, sed uti de marmore coepta
non exacta satis rudibusque simillima signis;
quae tamen ex illis aliquo pars umida suco
et terrena fuit, versa est in corporis usum;
quod solidum est flectique nequit, mutatur in ossa;
quae modo vena fuit, sub eodem nomine mansit,
inque brevi spatio superorum numine saxa
missa viri manibus faciem traxere virorum
et de femineo reparata est femina iactu.
Inde genus durum sumus experiensque laborum
et documenta damus, qua simus origine nati.



Phocis trennt öteische von aonischen Fluren, ein fruchtbares Land, solange es Land war, doch in jener Zeit ein Teil des Meeres und eine weite Fläche unvermuteten Wassers.
Dort langt ein steiler Berg mit zwei Gipfeln nach den Sternen, sein Name Parnasos, und Wolken überragen seine Spitzen.
Sowie Deucalion hier (denn das Übrige hatte das Meer bedeckt) nach der Fahrt auf einem kleinen Kahn mit seiner Gattin festgehangen hatte, beteten sie zu den koryzischen Nymphen und den Gottheiten des Berges und zur weissagenden Themis, die damals das Orakel innehatte: Niemand war besser als jener und es gab keinen Mann, der mehr die Gerechtigkeit liebte, noch irgendeine Frau, die mehr die Götter fürchtete.
Sobald Jupiter gesehen hatte, dass die Erde von flüssigen Sümpfen überschwemmt war und von so vielen Tausenden nur ein Mann überlebte und von so vielen Tausenden nur eine Frau übrig war, beide rechtschaffen, beide Verehrer der Göttlichkeit, da löste er die Wolken auf, zeigte, nachdem der Regen vom Nordwind verscheucht, dem Himmel die Erde und der Erde den Äther.
Auch der Zorn des Meeres bleibt nicht, und nachdem er den Dreizack niedergelegt, besänftigt der Herrscher des Meeres die Fluten und ruft den über der Tiefe stehenden und an den Schultern mit einer angewachsenen Schnecke bedeckten blauen Triton und heißt ihn, ins dröhnende Schneckenhorn zu blasen und Fluten und Flüsse mit gegebenem Zeichen sogleich zurückzurufen: Jener nimmt sein hohles Horn, das gewunden in die Breite vom untersten Wirbel anwächst, sein Horn, das die unter beiden Sonnen liegenden Strände, sowie es Luft aus der Mitte des Heeres aufgenommen, mit Schall erfüllt; dann auch, sobald es den Mund, der vom nassen Barte feucht war, berührt hatte und, geblasen, gebotenen Rückzug hatte ertönen lassen, wurde es von allen Fluten des Erde und des Meeres gehört, und bändigte alle, von denen es ward gehört.
Schon hat das Meer seine Küste, das Flußbett fasst seine vollen Ströme, die Fluten senken sich und man sieht die Hügel emporragen; es erhebt sich der Boden, das Land wächst, während die Wellen sich senken, und nach einem langen Tag zeigen die Wälder entblößte Gipfel und halten im Laub noch zurückgebliebenen Schlamm.
Die Erde ward zurückgegeben; nachdem er sie so leer und die verödeten Länder in tiefer Stille hatte verharren gesehen, da sprach Deucalion unter hervorbrechenden Tränen so zu Pyrrha:
"O Schwester, O Gattin, O einzige überlebende Frau, die gemeinsames Geschlecht und Abkunft vom Bruder meines Vaters, dann Ehebett mit mir verbunden haben, und jetzt selbst die Gefahr mit mir verbindet, von allen Ländern, die Untergang und Aufgang sehen, sind wir zwei das Volk; das Übrige hat das Meer verschlungen.
Auch jetzt noch gibt es ob unseres Lebens keine genügend sichere Zuversicht; noch immer schrecken Wolken unseren Geist.
Wie würdest du dich jetzt fühlen, Beklagenswerte, wenn du ohne mich dem Unheil wärst entrissen worden? Auf welche Weise könntest du die Angst allein ertragen? Wer würde dich in deinem Schmerze trösten?
Ich jedenfalls (glaub mir!) würde dir, wenn dich auch das Meer in Besitz nähme, folgen, meine Frau, und auch mich würd' das Meer verschlingen.
O wenn ich doch nur mit väterlicher Kunst die Völker wiederherstellen und der geformten Erde Seelen einhauchen könnte! Jetzt besteht das sterbliche Geschlecht bloß noch aus uns beiden.
So dünkte es den Göttern: wir bleiben als Muster von Menschen.“
Gesprochen hatte er, und sie weinten: Sie beschlossen, die himmlische Gottheit anzubeten und durch heilige Losorakel Hilfe zu ersuchen.
Es gibt keinen Verzug: Auch zum cephisischem Strom gingen sie, der zwar noch nicht wieder klar war, doch seinen üblichen Verlauf hatte.
Dann, wo sie ein paar Tropfen entnommen und diese ihrer Kleidung und ihrem Haupt aufgeträufelt hatten, wandten sie sich der heiligen Göttin Tempel zu, dessen Dach noch von hässlichem Tang gelbgrün war und dessen Altäre feuerlos da standen.
Sowie sie die Stufen des Tempels berührt hatten, warfen sie sich beide nach vorn auf den Boden und küssten zitternd das eiskalte Gestein, und sprachen so: „Wenn durch gebührende Gebete umgestimmt die Gottheiten sich erweichen lassen, wenn der Zorn der Götter beschwichtigt wird, sag, Themis, wie der Schaden an unserer Gattung ersetzbar ist, und bring, Gütigste, Hilfe der versunkenen Welt!“
Bewegt wurde die Göttin und gab folgendes Orakel: „Gehet weg vom Tempel, verhüllet euren Kopf und bindet los die umgürteten Kleider, und werfet hinter euren Rücken der großen Mutter Gebeine!“
Lange staunten sie: da bricht Pyrrha als erste mit ihrer Stimme das Schweigen und weigert sich, den Befehlen der Göttin Folge zu leisten, und sie bittet mit bebendem Munde darum, dass sie ihr verzeihe, fürchtet sie doch, den Schatten der Mutter durch den Wurf der Gebeine zu verletzen.
Indes wiederholen sie für sich die durch ihren versteckten Sinn unklaren Worte des gegebenen Orakels und beratschlagen untereinander.
Dann beschwichtigt des Prometheus Sohn die Tochter des Epimetheus mit sanften Worten und sagt „Entweder täusche ich mich oder (Orakel sind rechtschaffen und raten kein Unrecht an) mit der „großen Mutter“ ist die Erde gemeint: Ich denke, die Steine im Körper der Erde sind ihre Knochen; wir sollen sie hinter unseren Rücken werfen.“

Obschon die Titanide ward durch des Gatten Deutung beeindruckt, ist ihre Hoffnung dennoch von Zweifeln geplagt: So sehr misstrauen beide den himmlischen Mahnungen; doch was wird ein Versuch schaden? Sie steigen hinab: Sie verhüllen ihr Haupt, lösen ihre Tuniken und werfen die befohlenen Steine in ihre Fußspuren.
Allmählich (wer möchte das glauben, wenn nicht das hohe Alter davon zeugte?) verloren die Steine ihre Härte und Steife, wurden langsam weich und erweicht bildeten sie eine Form.
Dann, sobald sie gewachsen waren und ihnen ein sanfteres Wesen zuteil geworden war, konnte man zwar eine gewisse, jedoch nicht deutliche Menschengestalt erkennen, wie ein nicht recht beendetes und rohen Bildnissen sehr ähnliches Marmorwerk; doch der Teil von ihnen, der von irgendeinem Safte feucht war und erdig, wurde in Fleisch verwandelt; was fest war und nicht gebogen werden konnte, verwandelte sich in Knochen; was eben noch Ader gewesen, blieb unter demselben Namen, und in kurzer Zeit nahmen mit göttlicher Macht die aus der Hand des Mannes geworfenen Steine das Aussehen von Männern an und aus den von der Frau geworfenen wurden Frauen wiederhergestellt.
Daher sind wir ein hartes Geschlecht, erfahren in Strapazen, und geben so Beweis dafür, welchem Ursprung wir entstammen.



Anmerkungen und Hilfen zur Übersetzung

(319) cum consorte tori : consors mit objektivem Genitiv; daher "mit der, die am Ehebett gleichen Anteil hat" = "Gattin"
(332) umeros ... tectum : von tectum abhängiger griech. Akkusativ
(338) sub utroque iacentia Phoebo : Bezug auf litora; utro Phoebo steht metonymisch für die Sonne, die auf- und untergeht
(339 ora dei madida rorantia barba : man beachte die Quantitäten: ōra deī madidā rōrantia barbā; es ist also "der von nassem Bart tauende Mund"
(342) et quibus est undis audita, coercuit omnes : disp. et coercuit omnes undas, quibus audita est
(352-353) quam commune mihi genus et patruelis origo / deinde torus iunxit : quam ist Akk.-Objekt zu iunxit, zu dem genus, origo und torus Subjekte sind
(360) quo consolante dolores? : Ablativus absolutus; dieser verschränkt die Frage gleichsam (wörtlich evtl. "bei welchem Tröstetenden wirst du Schmerz empfinden?")
(370) liquidas, sic iam vada nota secantes : liquidus meint hier „klar“; denn durch die Flut war die Erde aufgewühlt worden und sodann das Wasser trüb; notus bedeutet an dieser Stelle „gewöhnlich“; secare ist bildlich verwendet; vadum ist eigentlich die Furt (untiefe Stelle) bezeichnet aber auch metonymisch den Fluss als Ganzes
(376) humi : Lokativ
(383) ossaque ... magnae ... parentis : sc. Gaiae; mit den Knochen von Mutter Erde sind Steine gemeint; Deukalion und Pyrrha verstehen dies zunächst nicht
(387) maternas ... umbras : den Schattengeist ihrer Mutter kränken durch diese frevlerische Tat; denn Pyrrha glaubt, sie solle die Gebeine ihrer Mutter zerstreuen
(388-389) repetunt caecis obscura latebris / verba : die Stellung legt nahe, caecis latebris als instrumentalen oder kausalen Ablativ von obscura abhängig zu machen („unklar wegen ...“) - oder vllt. auch lokal? („verborgen in dunklem Versteck“); für das Erste würde latebrae, eig. „Versteck“, metaporisch für den „versteckten“ Sinn aufzufassen sein
(391) aut fallax ... est sollertia nobis : wörtlich „entweder ist mir trügende Schlauheit / Erfindsamkeit / Raffinesse (im Interpretieren)“



(400) credat ... sit : potentiale Konjunktive
(402) mora : Ablativus modi
(407-408) quae tamen ex illis aliquo pars umida suco / et terrena fuit, versa est in corporis usum : das Bezugswort (pars) des RS ist mit in diesen hineingerutscht, disp. tamen pars ex illis, quae umida aliquo suco et terrena fuit, versa est in corporis usum; die Worte in corporis usum meinen „zum Nutzen als Fleisch” = „um als Fleisch zu nutzen“
(415) documenta damus, qua simus origine nati : gilt als indirekte Frage, daher Konjunktiv; qua origine[/I ] ist ein von [I]nati abhängiger Abl. originis



Imperator


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