| Brutus - de claris oratoribus | | |
326. Kapitel |
[326] Haec autem, ut dixi, genera dicendi aptiora sunt adulescentibus, in senibus gravitatem non habent. Itaque Hortensius utroque genere florens clamores faciebat adulescens. Habebat enim et Meneclium illud studium crebrarum venustarumque sententiarum, in quibus, ut in illo Graeco, sic in hoc erant quaedam magis venustae dulcesque sententiae quam aut necessariae aut interdum utiles; et erat oratio cum incitata et vibrans tum etiam accurata et polita. Non probabantur haec senibus - saepe videbam cum inridentem tum etiam irascentem et stomachantem Philippum - sed mirabantur adulescentes, multitudo movebatur.
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[326] Diese Redestile passen, wie ich gesagt habe, besser zu jungen Männern, bei alten haben sie keine Bedeutsamkeit. Daher verschaffte sich Hortensius, weil er durch beide Stile glänzte, lauten Beifall. Er besaß nämlich auch jene meneklische Neigung zu dichtgedrängten und anmutigen Gedanken, zu welchen, wie bei jenem Griechen, so auch bei diesem gewisse, eher witzige und heitere Gedanken als entweder notwendige oder bisweilen nützliche gehörten; und seine Rede war sowohl schnell und schwingend als auch genau und fein. Dies wurden von den Alten nicht gutgeheißen – oft sah ich Philippus sowohl lachen als auch zürnen und sich ärgern – aber die jungen Männern bewunderten es, die Masse wurde bewegt.
| 327. Kapitel |
[327] Erat excellens iudicio volgi et facile primas tenebat adulescens. Etsi enim genus illud dicendi auctoritatis habebat parum, tamen aptum esse aetati videbatur. Et certe, quod et ingeni quaedam forma lucebat usu et exercitatione perfecta eratque verborum astricta comprensio, summam hominum admirationem excitabat. Sed cum iam honores et illa senior auctoritas gravius quiddam requireret, remanebat idem nec decebat idem; quodque exercitationem studiumque dimiserat, quod in eo fuerat acerrimum, concinnitas illa crebritasque sententiarum pristina manebat, sed ea vestitu illo orationis, quo consuerat, ornata non erat. Hoc tibi ille, Brute, minus fortasse placuit quam placuisset, si illum flagrantem studio et florentem facultate audire potuisses.
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[327] Er war nach dem Urteil des Volkes ausgezeichnet und behauptete als junger Mann leicht den ersten Rang. Denn wenn auch jener Redestil zu wenig Ansehen hatte, schien er dennoch für dieses Lebensalter geeignet zu sein. Und ohne Zweifel ließ er größte Bewunderung bei den Menschen entstehen, weil einerseits eine gewisse Schönheit seines Talents glänzte, durch Praxis und Übung perfektioniert, andererseits die Periode seiner Worte bündig war. Aber als bereits die Ehren und jenes bejahrtere Ansehen etwas Gewichtigeres verlangten, blieb er derselbe, doch dasselbe ziemte sich nicht mehr; und diejenige Übung und denjenigen Eifer hatte er aufgegeben, der in ihm äußerst energisch gewesen war, jene frühere harmonische Gliederung und Gedrängtheit der Gedanken blieb, doch war sie nicht durch jenes Gewand der Rede geschmückt, mit welchem er sie gewöhnlich eingekleidet hatte. Damit gefiel jener dir, Brutus, wohl weniger als er dir gefallen hätte, wenn du jenen hättest hören können, wie er vor Eifer brannte und durch Geschicklichkeit glänzte.
| 328. Kapitel |
[328] Tum Brutus, ego vero, inquit, et ista, quae dicis, video, qualia sint, et Hortensium magnum oratorem semper putavi maxumeque probavi pro Messalla dicentem, cum tu afuisti.
Sic ferunt, inquam, idque declarat totidem, quot dixit, ut aiunt, scripta verbis oratio. ergo ille a Crasso consule et Scaevola usque ad Paulum et Marcellum consules floruit, nos in eodem cursu fuimus a Sulla dictatore ad eosdem fere consules. Sic Q. Hortensi vox exstincta fato suo est, nostra publico.
Melius, quaeso, ominare, inquit Brutus.
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[328] Darauf sagte Brutus: „Ich erkenne wahrhafig das, was du sagst und wie es ist, und habe Hortensius immer für einen großen Redner gehalten und besonders heiße ich gut, dass er für Messalla sprach, als du abwesend warst.“
„So erzählt man“, sagte ich, „und dies legt ebenso viel dar, wie geschriebene Rede durch Worte verlautbart, wie das Sprichwort sagt. Jener glänzte also von den Konsuln Crassus und Scaevola bis zu den Konsuln Paulus und Marcellus, ich befand mich auf derselben Karrierelaufbahn von der Diktatur Sullas an bis ungefähr zu denselben Konsuln. So ist die Stimme des Quintus Hortensius durch sein eigenes, meine durch das öffentliche Schicksal erloschen.“
„Besseres, ich bitte dich, wünsch' dir“, sagte Brutus.
| 329. Kapitel |
[329] Sit sane ut vis, inquam, et id non tam mea causa quam tua; sed fortunatus illius exitus, qui ea non vidit cum fierent, quae providit futura. Saepe enim inter nos impendentis casus deflevimus, cum belli civilis causas in privatorum cupiditatibus inclusas, pacis spem a publico consilio esse exclusam videremus. Sed illum videtur felicitas ipsius, qua semper est usus, ab eis miseriis, quae consecutae sunt, morte vindicavisse.
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[329] „Möge es gänzlich sein, wie du willst“, sagte ich, „und nicht so sehr mir als vielmehr dir zuliebe; aber das Ende von jenem war glücklich, der seine Prophezeiungen für die Zukunft nicht mit ansehen musste, als sie eintraten. Oft nämlich beweinten wir untereinander die drohenden Ereignisse, als wir sahen, dass die Gründe des Bürgerkriegs in den Gelüsten von Privatleuten eingeschlossen waren, die Hoffnung auf Frieden von einem öffentlichen Beschluss zunichte gemacht worden war. Aber sein Glück, dessen er sich immer erfreute, scheint ihn durch den Tod von dem Elend befreit zu haben, was folgte.
| 330. Kapitel |
[330] Nos autem, Brute, quoniam post Hortensi clarissimi oratoris mortem orbae eloquentiae quasi tutores relicti sumus, domi teneamus eam saeptam liberali custodia, et hos ignotos atque impudentes procos repudiemus tueamurque, ut adultam virginem, caste et ab amatorum impetu quantum possumus prohibeamus. Equidem etsi doleo me in vitam paulo serius tamquam in viam ingressum, priusquam confectum iter sit, in hanc rei publicae noctem incidisse, tamen ea consolatione sustentor, quam tu mihi, Brute, adhibuisti tuis suavissimis litteris, quibus me forti animo esse oportere censebas, quod ea gessissem, quae de me etiam me tacente ipsa loquerentur viverentque mortuo; quae, si recte esset, salute rei publicae, sin secus, interitu ipso testimonium meorum de re publica consiliorum darent.
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[330] Lass uns, Brutus, weil wir ja nach dem Tod des äußerst berühmten Redners Hortensius gewissermaßen als Beschützer der elternlosen Beredsamkeit zurückgeblieben sind, diese doch zu Hause, umgeben von edler Fürsorge, halten, und diese unbekannten und schamlosen Freier zurückweisen und sie, wie eine erwachsene Jungfrau, rein bewahren und sie so gut wir können vor dem Ansturm der Buhler schützen. Auch wenn es in der Tat schmerzt, dass ich ein wenig später ins Leben, gewissermaßen auf den Weg geschritten bin, dass ich in diese Nacht des Gemeinwesens geraten bin, bevor ich den Weg vollenden konnte, stütze ich mich dennoch auf diesen Trost, den du mir, Brutus, mit deinen höchst angenehmen Briefen entgegengebracht hast, in denen du meinst, ich müsse tapferen Herzens sein, weil ich das ausgeführt hätte, was über mich sprechen werde, auch wenn ich schweigen würde, und leben werde, wenn ich tot sei; dies werde, wenn es glücklich ausgehe, durch die Rettung des Gemeinwesens, wenn aber übel, durch den Untergang selbst Zeugnis über meine Beschlüsse betrefflich des Gemeinwesens ablegen.
| 331. Kapitel |
[331] Sed in te intuens, Brute, doleo, cuius in adulescentiam per medias laudes quasi quadrigis vehentem transversa incurrit misera fortuna rei publicae. Hic me dolor tangit, haec me cura sollicitat et hunc mecum socium eiusdem et amoris et iudici. Tibi favemus, te tua frui virtute cupimus, tibi optamus eam rem publicam, in qua duorum generum amplissumorum renovare memoriam atque augere possis. Tuum enim forum, tuum erat illud curriculum, tu illuc veneras unus, qui non linguam modo acuisses exercitatione dicendi, sed et ipsam eloquentiam locupletavisses graviorum artium instrumento et isdem artibus decus omne virtutis cum summa eloquentiae laude iunxisses.
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[331] Aber es schmerzt mich, Brutus, wenn ich dich anschaue, in dessen Jugend, die gewissermaßen wie durch ein Viergespann mitten durch Lobreden gezogen wird, das elende Schicksal des Gemeinwesens querfeldein hineinstürmt. Dieser Schmerz trifft mich, diese Sorge beunruhigt mich und mit mir diesen Begleiter sowohl derselben Liebe als auch der Gesinnung zu dir. Wir sind dir gewogen, wir wünschen, dass du aus deiner Tugendhaftigkeit Nutzen ziehst, wir wünschen dir einen Staat, in dem du das Andenken an zwei sehr bedeutende Geschlechter wiederherstellen und vergrößeren kannst. Denn dein war das Forum, dein war jene Laufbahn, du warst als einziger dorthin gekommen, weil du nicht nur deine Sprache durch Redeübung geschärft hattest, sondern auch die Beredsamkeit selbst mit dem Werkzeug bedeutender Künste bereichert und durch dieselben Künste allen Glanz der Tüchtigkeit mit größtem Ruhm der Beredsamkeit verbunden hattest.
| 332. Kapitel |
[332] Ex te duplex nos afficit sollicitudo, quod et ipse re publica careas et illa te. Tu tamen, etsi cursum ingeni tui, Brute, premit haec importuna clades civitatis, contine te in tuis perennibus studiis et effice id, quod iam propemodum vel plane potius effeceras, ut te eripias ex ea, quam ego congessi in hunc sermonem, turba patronorum. Nec enim decet te ornatum uberrumis artibus, quas cum domo haurire non posses, arcessivisti ex urbe ea, quae domus est semper habita doctrinae, numerari in volgo patronorum. Nam quid te exercuit Pammenes, vir longe eloquentissimus Graeciae, quid illa vetus Academia atque eius heres Aristus hospes et familiaris meus, si quidem similes maioris partis oratorum futuri sumus?
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[332] Wegen dir trifft uns doppelter Kummer, weil du einerseits selbst vom Gemeinwesen entfernt bist andererseits jenes von dir. Halte du dich, Brutus, auch wenn dieses zeitlich ungünstige Unheil der Bürgerschaft die Laufbahn deines Talents niederdrückt, dennoch bei deinen fortwährenden Studien auf und erwirke das, was du schon so ziemlich oder eher vollends zustande gebracht hattest, nämlich dass du dich aus derjenigen Masse von Anwälten herausreißt, die ich in diesem Gespräch zusammengehäuft habe. Denn es würde sich nicht schicken, dass du, ausgerüstet mit den ergiebigsten Künsten, die du, weil du sie zu Hause nicht schöpfen konntest, aus derjenigen Stadt holtest, die immer als das Zuhause der Gelehrsamkeit galt, unter die gewöhnliche Masse der Anwälte gezählt wirst. Denn wozu bildete Pammenes, der bei weitem beredste Mann Griechenlands, dich aus, wozu jene alte Akademie und ihr Erbe Aristus, mein Gastfreund und Vertrauter, wenn wir dem größeren Teil der Redner nur ähnlich sein wollen?
| 333. Kapitel |
[333] Nonne cernimus vix singulis aetatibus binos oratores laudabilis constitisse? Galba fuit inter tot aequalis unus excellens, cui, quem ad modum accepimus, et Cato cedebat senior et, qui temporibus illis aetate inferiores fuerunt; Lepidus postea, deinde Carbo; nam Gracchi in contionibus multo faciliore et liberiore genere dicendi, quorum tamen ipsorum ad aetatem laus eloquentiae perfecta nondum fuit. Antonius, Crassus, post Cotta, Sulpicius, Hortensius. Nihil dico amplius, tantum dico: si mihi accidisset, ut numerarer in multis †…†; si operosa est concursatio magis oportunorum †…†.
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[333] Nehmen wir etwa nicht wahr, dass sich in den einzelnen Generationen kaum zwei lobenswerte Redner gefunden haben? Galba war unter sovielen Zeitgenossen als einziger herausragend; diesem standen, wie wir vernommen haben, sowohl Cato der Ältere als diejenigen nach, die in jenen Zeiten jünger waren; Lepidus hinterher, dann Carbo; die Gracchen waren in ihren Volksversammlungen nämlich von viel leichterer und freierer Redeweise; bis zu ihrer Zeit war der Ruhm der Beredsamkeit trotzdem noch nicht vollendet. Antonius, Crassus, später Cotta, Sulpicius und Hortensius. Ich sage nichts weiter, nur noch das sage ich: Wenn es mir widerfahren wäre…
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Anmerkungen und Hilfen
[327]
summam hominum admirationem : Genitivus subiectivus; eine Übersetzung mit „größte Bewunderung der Menschen” würde im Deutschen einen Genitivus obiectivus implizieren. Weil freilich gemeint ist, dass Hortensius die Menschen dazu brachte, ihn zu bewundern, muss man so übersetzen, dass klar ist, dass die Menschen die Bewunderung ausführen und nicht von ihr betroffen werden (bei den Menschen, seitens der Menschen, von den Menschen ausgehend etc.).
quo consuerat : sinngemäß ist hanc orationem vestire zu ergänzen; consuerat = consueverat.
[328]
ominare : Imperativ Präsens 2. Pers. Sg. von [I]ominari[I] (omen) „weissagen, sich (weissagend) wünschen“.
[329]
mea causa quam tua : Ablativus causae
qui ea non vidit cum fierent, quae providit futura : eigentlich „der das nicht sah, was er als zukünftiges vorhersagte, als es eintrat.“
[330]
priusquam confectum iter sit : Der Konjunktiv steht, weil die Handlung in dem priusquam-Satz niemals stattgefunden hat.
loquerentur viverentque […] esset […] darent : Konjunktiv Imperfekt in konjunktivischen Nebensätzen (hier steht aufgrund der ind. Rede der Konjunktiv) steht sowohl zur Bezeichnung der Gleich- als auch der Nachzeitigkeit.
[331]
qui non linguam modo acuisses […] locupletavisses […] iunxisses : kausaler Relativsatz
[332]
decet : abweichende Verwendung des Indikativs im Lateinischen im Gegensatz zum Deutschen.
quae domus est semper habita doctrinae : Athen
si quidem similes maioris partis oratorum futuri sumus : Sinn: wozu all die Ausbildung, wenn wir nachher doch nur in die große Masse der Redner eingerechnet werden und keine besondere Stellung genießen?
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